Von Michael Mann
Veröffentlicht 2018
DOI 10.25360/01–2022-00015
Foto: Foto einer Baumkrone.
Inhaltsverzeichnis
Frühe Wald- und Forstgesetzgebung | Systematische Forstwissenschaften | Die Praxis der Waldbewirtschaftung | Literatur und Quellen | Endnoten | Literaturhinweise
Frühe Wald- und Forstgesetzgebung
Auf dem Südasiatischen Subkontinent war eine systematische und nachhaltige Bewirtschaftung von Wäldern schon vor der britischen Kolonialherrschaft bekannt. So vergaben im 18. Jahrhundert die Herrscher des Sindh und in Assam Privilegien, die Regularien zur Bewirtschaftung von Wäldern einschlossen, um eine dauerhafte Versorgung mit Holz und Waldprodukten zu sichern. Besonders zu erwähnen sind die Waldgesetze der Marathen, die zur selben Zeit für die Wälder des Konkan strikte Regeln zur Aufforstung und Wiederaufforstung erließen, um die Versorgung mit Holz für den Schiffbau und zusätzliche Steuereinnahmen zu sichern. Staatlicher Zugriff auf die Wälder samt ihren Produkten lösten seitens der lokalen Bevölkerung, die sich ihrer angestammten Rechte nicht berauben lassen wollte, heftigen Widerstand aus. Auch die Herrscher der Gorkha erließen um die Wende zum 19. Jahrhundert Waldgesetze, die die Wiederaufforstung ganzer Landstriche an den Abhängen des Himalaya in die nordindische Tiefebene regelten.
Mit der allmählichen Ausdehnung der britischen Kolonialherrschaft und Gebietsannexionen großen Ausmaßes auf dem Subkontinent ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts brachen die etablierten lokalen Waldwirtschaften zusammen, da die Briten der Bewirtschaftung von Wäldern zunächst keine Aufmerksamkeit schenkten. Die regionalen Holzmärkte schienen den Bedarf an Bau- und Brennmaterial für die neuen Herrscher zunächst zu gewährleisten. Dies änderte sich jedoch, als im Zuge der Koalitionskriege in Europa (1792–1815) und der von Napoleon 1805 verhängten Kontinentalsperre eine akute Holzknappheit drohte, die die Versorgung der britischen Marine mit zentraleuropäischem und skandinavischem Bauholz gefährdete. Noch im selben Jahr entschied die britische Regierung, die Niederlassung der East India Company in Bombay als Hafen- und Werftplatz auszubauen und hier mit Hilfe lokaler Schiffskonstrukteure Schiffe aus Teak bauen zu lassen.
Um eine kontinuierliche Versorgung mit Bauholz zu gewährleisten, griff die Regierung in Bombay auf ein Gutachten zurück, das ein gewisser Franz Wrede angefertigt hatte, der aus einer Heidelberger Beamtenfamilie stammte und vermutlich ein ehemaliger Angestellter der Vereenigden Oostindien Company war. Offensichtlich war er vertraut mit dem damals aktuellen Kenntnisstand der Waldbewirtschaftung in den deutschsprachigen Ländern, denn, ähnlich wie die Forstgesetzgebungen hierzulande, regelte sein Entwurf zu einer Forstgesetzgebung Waldeintrieb, Walderträge, Holzeinschlag, Aufforstung und Holzhandel und betonte das damit verbundene wachsende Steueraufkommen für den Staat. Doch sollte das Experiment, als das es seitens der britischen Regierung in London bezeichnet wurde, nicht von langer Dauer sein, denn ab 1823 kommerzialisierte der Kolonialstaat den Holzeinschlag über einen privatwirtschaftlich organisierten Holzhandel, mit katastrophalen Folgen für die Teakwälder an der Malabarküste.
Systematische Forstwissenschaften
Die Phase des unkontrollierten Holzeinschlags dauerte bis etwa 1860, als mit dem nun rapide vorangetriebenen Eisenbahnbau in Britisch-Indien die Frage nach einer dauerhaften Versorgung mit Schwellen- und Brennholz wieder dringlich wurde. Eine erste Maßnahme zur erneuten staatlich kontrollierten Forstwirtschaft war 1864 die Einrichtung des Forest Department unter der Leitung des Bonner Botanikers Dietrich Brandis (1824–1907). Als Inspector General of Indian Forests (1864–81) erließ er im darauffolgenden Jahr die erste, wenngleich noch provisorische Gesetzgebung zur Waldnutzung in Britisch-Indien. Staatliche Kontrolle blieb auf ein Minimum reduziert, was innerhalb der britischen Kolonialverwaltung heftige Kontroversen auslöste. Schließlich wurde 1878 das erste umfassende Forstgesetz für Britisch-Indien erlassen, das die Wälder in drei Klassen einteilte, nämlich in die „reserved“, „protected“ und „village forests“. Allerdings war die Regierung in der Madras Presidency aufgrund lokaler und regionaler Gepflogenheiten nicht bereit, das Gesetz zu implementieren und erließ 1882 ein eigenes. Das Gleiche tat die Provinz Burma, deren Regierung bereits 1881 ein eigenes Gesetz verabschiedet hatte, 1886 gefolgt von der zentralindischen Provinz Berar.
Von einer einheitlichen Forstgesetzgebung konnte folglich nicht die Rede sein. Sich überlappende Regelungen, unterschiedliche Kompetenzen und variierende lokale Rechtslagen verhinderten eine uniforme Gesetzgebung. Für den überwiegenden Teil Britisch-Indiens galt freilich das Gesetz von 1878. Im Prinzip sicherte sich der Kolonialstaat mit diesem Gesetz das alleinige Zugriffsrecht und damit die exklusive Nutzung der Wälder Britisch-Indiens. Versuche von Dietrich Brandis, nach dem Modell der mitteleuropäischen Forstgesetze einen Ausgleich zwischen lokalen Gewohnheitsrechten und verbrieften Rechten einerseits und staatlicher Gesetzgebung andererseits zu finden, scheiterten am Widerstand einzelner britischer Kolonialbeamter. Sie pochten auf eine maximale Ausbeutung der indischen Wälder und machten dafür das Recht des Eroberers geltend, wonach aller Grund und Boden diesem als Eigentum und damit auch zur uneingeschränkten Nutzung zufalle.
Langfristige Folge der Forstgesetzgebung, die bis zum Ende der Kolonialherrschaft nur noch zwei Mal, nämlich 1893 und 1923, ergänzt wurde, war die allmählich betriebene, systematische Umwandlung der vorherrschenden Primärwälder („Urwald“) in industriell nutzbare Forste mit dem „Normalbaum“ (Pflanzung einer Baumart in Monokultur mit kontrolliertem Wachstum und Einschlag) als ultimativem Ziel. Mit dieser Transformation ging auch die Entrechtung der Waldbewohner oder Dorfbewohner mit Waldrechten einher. Dieser Prozess, ebenso wie die Durchsetzung der Forstgesetzgebung, erstreckte sich wegen chronischen Personalmangels des Kolonialstaates jedoch bis weit in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auch der post-koloniale indische wie auch pakistanische Staat sah sich immer wieder veranlasst, wenn es um die Sicherung von Forstressourcen oder auch von Bodenschätzen unter Waldflächen ging, das seit 1878 bestehende Recht notfalls mit Zwangsmitteln bis hin zur offenen Gewalt durchzusetzen. Gegen den Zugriff des kolonialen wie auch des post-kolonialen Staates auf die Wirtschaftsgrundlage und die sozial-kulturelle sowie die natürliche Umwelt ganzer (Stammes-)Gesellschaften regte sich von Anbeginn zum Teil massiver lokaler Widerstand.
Die Praxis der Waldbewirtschaftung
Keinesfalls wurde mit dem Erlass der Forstgesetzgebung von 1878 eine nach heutigem Verständnis nachhaltige Forstwirtschaft eingeführt. Unter nachhaltig verstanden die Zeitgenossen, den Holzeinschlag so zu limitieren, dass die natürlichen Regenerationspotenziale des Waldes ausreichten, um die immer gleiche Menge nachwachsen zu lassen. An eine gezielte Wiederaufforstung und an eine Aufforstung zur Ausweitung von Waldflächen war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht gedacht, obgleich, wie gesehen, das Wissen um nachhaltige Waldbewirtschaftung in einzelnen Regionen Südasiens vorhanden war. Bei aller botanischer und klimatischer Unkenntnis über die tropische und subtropische Flora, insbesondere der Bäume und Büsche, verwundert es, dass Prinzipien europäischer Forstwissenschaften, wie sie an nordalpinen Wäldern erarbeitet worden waren (minimale Biodiversität bei maximaler ökonomischer Ausbeutungsrate) nahezu unverändert auf den Südasiatischen Subkontinent übertragen wurden.
Nur vereinzelt fand hier über Jahrhunderte gewonnenes lokales empirisches Wissen Eingang in die britisch-indische Forstwirtschaft. Und so wundert es wiederum nicht, dass die beiden deutschen Nachfolger Dietrich Brandis’ im Amt des Inspector General, Wilhelm Schlich, 1881–85, und Berthold Ribbentrop, 1885–99, bald einsehen mussten, dass südasiatische Wälder aufgrund ihrer Ausdehnung und der völlig anders gearteten botanischen und klimatischen Verhältnisse nicht mit der gleichen Intensität bewirtschaftet werden konnten wie die nordeuropäischen. Der Versuch, mit der ergänzenden Gesetzgebung von 1893 den Zugriff des Staates auf die Wälder zu verstärken, indem in den „reserved forests“ der Vieheintrieb, das Sammeln von Holz sowie das Abbrennen von Grasflächen generell untersagt wurde, war zum Scheitern verurteilt, denn bald stellte sich heraus, dass Vieheintrieb wie auch Kleinbrände ökologisch gerade in Südasien durchaus sinnvoll sind. Beide dienen der Düngung und damit den natürlichen Regenerationskräften des Waldes.
Die beiden Weltkriege führten zu einer ungeheuren Ausbeutung der südasiatischen Wälder. In manchen Regionen, so im waldreichen Kumaon, wurde der Einschlag zwischen 1942 und 1945 um mehr als das Sechsfache gegenüber Normaljahren erhöht. Das Ende des Zweiten Weltkrieges bedeutete jedoch nicht das Ende des staatlich-kommerziellen Zugriffs, im Gegenteil. Bereits 1952 erließ die Regierung der jungen Republik Indien ein Gesetz, das Dorfgemeinschaften jeglichen Zugang zu Wäldern und seinen Ressourcen im nun „nationalen Interesse“ verbot. In vielerlei Hinsicht setzte der indische Staat die Politik des britischen Kolonialstaates fort, so, wenn immer mehr Gewohnheitsrechte und Nießbrauchrechte konfisziert und im Gegenzug immer mehr Waldflächen zu „reserved forests“ erklärt wurden. Allein in Bihar kam so nahezu die gesamte Waldfläche innerhalb zweier Jahrzehnte unter unmittelbare staatliche Kontrolle. Offensichtlich verstand es der post-koloniale Staat – und versteht es nach wie vor – die zentralistische Politik seines Vorgängerregimes mit ungleich wirkungsvolleren Mitteln der Implementierung fortzusetzen.
Noch immer, wenngleich schwächer, ist der Einfluss der deutschen und französischen Forstwirtschaft des 18. und 19. Jahrhunderts deutlich zu erkennen, auch wenn das Forstpersonal nicht mehr aus Deutschland kommt und die Forstschulen, auf denen das europäische Forstpersonal zum Dienst in Britisch-Indien ausgebildet wurde, nicht mehr dort und in Frankreich angesiedelt sind. Von der Gesetzgebung von 1878 ist nur unwesentlich abgewichen worden, zumal die Ergänzungen von 1893 und 1923 eher Verschärfungen im Sinne einer industriellen Forstwirtschaft denn Erleichterungen im Interesse der vom und im Wald lebenden Bevölkerung bedeuteten. Erst als absehbar war, dass durch den Ausschluss der lokalen Bevölkerung die Waldbewirtschaftung seitens eines nahezu monopolitisch agierenden Staates nicht mehr zu bewerkstelligen war, entschied sich die Zentralregierung in Delhi 1998 zum Joint Management Forestry Act, der die Beteiligung von Dorfgemeinschaften explizit vorsieht. Letztlich aber dient auch dieses Gesetz weniger der ökonomischen Absicherung der lokalen Bevölkerung, geschweige denn einer ökologischen Balance, als vielmehr der nachhaltigen Bewirtschaftung der verbliebenen Waldflächen zur Steigerung privatwirtschaftlicher und staatlich-fiskalischer Erträge.
Literatur und Quellen
Literatur zu Dietrich Brandis und zu der britisch-indischen Forstgesetzgebung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist in ausreichendem Maß vorhanden, wenngleich es Lücken gibt, die sich aus der Tatsache ergeben, dass deutschsprachige Quellen seitens britischer oder indischer Historiker nicht berücksichtigt wurden. Potenzial für eine weitere Beschäftigung mit der Forstgesetzgebung in Südasien besteht zum einen in der gegenseitigen Einflussnahme der frühen Gesetzgebungen aus dem späten 18. Jahrhundert. Franz Wrede schöpfte sicher aus dem Wissen als Sohn eines kurpfälzischen Beamten, der auch mit der Forstverwaltung von Teilen des Odenwalds betraut war. Nicht auszuschließen aber ist, dass er sich auch an den lokalen Gepflogenheiten und Gesetzen der Rajas von Cochin orientierte, wo er sich als Angestellter der VOC aufgehalten haben dürfte. Quellenbestände zu Franz (von) Wrede befinden sich im Archiv von Schloss Ellingen, auf das die Witwe Wrede, Schwägerin des berühmten Generals von Wrede, der das Schloss als Dank für seine Verdienste insbesondere bei der Schlacht von Hanau 1813 erhielt, sich nach dem Tod ihres Mannes zurückzog.
Für die Forstgesetzgebung von 1864 und 1878 bzw. für die botanischen wie forstwissenschaftlichen Aktivitäten dürfte neben dem Bonner Universitätsarchiv auch die Korrespondenz von Brandis mit zahlreichen Kollegen, die am Institut für Weltforstwirtschaft der Universität Hamburg verwahrt wird, sowie die „German Letters 1858–1900“ im Archiv der Royal Botanical Gardens in Kew, noch weitere Informationen bergen. Und schließlich sind die Biografien der beiden Nachfolger von Brandis, Wilhelm Schlich aus dem ehemaligen Königreich Hannover und Bertold Ribbentrop aus dem Kurfürstentum Hessen kaum erforscht. Beide wurden mit der Niederlage ihrer Monarchen gegen Preußen im Krieg von 1866 zunächst arbeitslos und dank Brandis dann in den britisch-indischen Kolonialdienst geholt. Hier ist noch Grundlagenforschung zu Nachlässen, Korrespondenzen und Verwaltungsakten notwendig.[1] Bislang von der Wissenschaft unbeachtet blieb auch das Wirken von weniger bekannten, aber gleichwohl bedeutenden Botanikern wie des Augsburgers Sulpiz Kurz.[2]
Über die Erforschung der deutschsprachigen Botaniker und Forstwissenschaftler, vor allem ihrer Ausbildungshintergründe in den deutschen Ländern, ist eine Neubestimmung der Forstwissenschaften in Britisch-Indien möglich. Zum einen ist die Besonderheit der Forstwissenschaften und der Waldbewirtschaftung in den deutschsprachigen Ländern zu berücksichtigen, zum anderen aber auch der internationale Austausch innerhalb Europas zwischen den einzelnen forstwissenschaftlichen Ausbildungsstätten sowie der botanischen Institute. In dieser Hinsicht ist der Aspekt der Verflechtungsgeschichte, und damit auch des Zusammenwirkens von Akteuren mit ihren Nachlässen, Korrespondenzen, Aktenstücken etc. in europäischen und gegebenenfalls auch indischen Archiven von größter Relevanz.
Endnoten
[1] | Berthold Ribbentrop, Forestry of British India. Calcutta, 1900. |
[2] | Die bislang detaillierteste biografischen Angaben finden sich im Nachruf auf Kurz, den Dietrich Brandis verfasste: Indian Forester 4,1 (1878), S. 1–4. Sulpiz Kurz’ zweibändiges Werk Forest Flora of British Burma, London 1877, in dem er 2000 Pflanzen beschreibt, ist ein Standardwerk, das 1974 nachgedruckt wurde. |
Literaturhinweise
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