Foto: Ein Foto von einer Kis­te gefüllt mit zer­bro­che­nem Geschirr und Buddhastatuen

Die­ser Arti­kel ist inzwi­schen in einer im Jahr 2021 erwei­ter­ten Ver­si­on vor­han­den. Nach der Ver­öf­fent­li­chung des Tex­tes wur­de die Autorin von einem sri-lan­ki­schen His­to­ri­ker mit Ver­bin­dun­gen zur dor­ti­gen Dhar­ma­du­ta Socie­ty kon­tak­tiert. Das 2021 ver­fass­te Post­script gibt Ein­blick in die­sen Aus­tausch. Mehr dar­über hier.

Inhalts­ver­zeich­nis
Publi­ka­tio­nen im Archiv  |  Das Haus als Archiv | Der Zet­tel­kas­ten | Das Archiv der Din­ge | Auf­lis­tung des Archiv­guts (außer Biblio­thek)  |  Lite­ra­tur­ver­zeich­nis  |  Kor­re­spon­die­ren­de Archive

Vor­be­mer­kung: Das Inter­es­se der deut­schen Lebens­re­form­be­we­gung rich­te­te sich um 1900 vor allem auf Indi­en, das für die „Weis­heit aus dem Osten“, die „Mys­tik“ und die „Reli­gi­on der Zukunft“ stand, aber auch für „Arier­tum“ und die „ari­sche See­le“. Man näher­te sich die­sen Phä­no­me­nen durch reli­giö­se Expe­ri­men­te und Ori­ent­fahr­ten an. Gleich­zei­tig öff­ne­ten die­se Kon­tak­te auch viel­fal­ti­gen Mis­sio­nen aus Indi­en, die nach dem ers­ten Welt­krieg in Deutsch­land Fuß fass­ten, Tür und Tor. Das Archiv der Moschee in Wil­mers­dorf gibt Aus­kunft über 100 Jah­re reli­giö­se Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen Ber­lin und Laho­re, zwi­schen Theo­so­phie und Lebens­re­form auf der einen und der isla­mi­schen Moder­ne auf der ande­ren Sei­te. Ana­log dazu gibt das Archiv des bud­dhis­ti­schen Hau­ses Ber­lin, um das es in die­sem Bei­trag geht, Aus­kunft über 100 Jah­re reli­giö­se Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen Ber­lin und Colom­bo: zwi­schen Theo­so­phie und Lebens­re­form auf der einen und Bud­dhis­mus auf der ande­ren Sei­te. Zwi­schen bei­den Mis­sio­nen gab es viel­fäl­ti­ge Ansät­ze der Kom­mu­ni­ka­ti­on. Ent­spre­chend kom­mu­ni­zie­ren auch die Archi­ve miteinander.

1924 grün­de­te Paul Dah­l­ke (1865 – 1928) eine bud­dhis­ti­sche Lai­en­ge­mein­schaft in Ber­lin-Froh­nau. Hell­muth Hecker, der ihm in sei­nem Werk Lebens­bil­der deut­scher Bud­dhis­ten einen Ein­trag wid­me­te, berich­te­te, dass Dah­l­ke zuerst Theo­lo­gie hat­te stu­die­ren wol­len, sich jedoch nicht trau­te öffent­lich zu spre­chen. Statt­des­sen wur­de Dah­l­ke Arzt. Gleich­zei­tig beherrsch­te er Hebrä­isch, was auf eine tie­fe Ver­wur­ze­lung im Pro­tes­tan­tis­mus ver­weist. Dah­l­ke hei­ra­te­te nicht, leis­te­te sich dafür aus­ge­dehn­te Rei­sen durch Asi­en. Um 1900, wäh­rend sei­ner zwei­ten Rei­se (es wur­den ins­ge­samt acht) begann er, auf Cey­lon den Ther­ava­da Bud­dhis­mus zu stu­die­ren und Pali zu ler­nen, die Tra­di­ti­on und Schrift, in der die Über­lie­fe­rung Bud­dhas im Süden Indi­ens nie­der­ge­legt wur­de.  Erst der ers­te Welt­krieg unter­brach sei­ne Rei­se­tä­tig­keit. Bis dahin hat­te Dah­l­ke bereits sie­ben gro­ße Abhand­lun­gen und zahl­rei­che Auf­sät­ze über den Bud­dhis­mus publi­ziert (Hecker 1990: 13–14, 16–18).

Im Zuge der euro­päi­schen Expan­si­ons­po­li­tik und der damit ein­her­ge­hen­den Kolo­ni­sie­rung Indi­ens gelang­ten auch neue Nach­rich­ten über den Bud­dhis­mus, der nun­mehr als Welt­re­li­gi­on ein­ge­stuft wur­de, in die west­li­che Welt. 1879 publi­zier­te der Bri­te Edwin Arnold Light of Asia, eine viel­ge­le­se­ne Dar­stel­lung über das Leben Bud­dhas (Arnold 1879/2016). In Deutsch­land erreg­te der Reli­gi­ons­his­to­ri­ker Rudolf Sey­del gro­ßes Auf­se­hen mit einer ver­glei­chen­den Stu­die über die Lebens­ge­schich­ten  Jesu und Bud­dhas (Sey­del 1884). Durch sol­che und ande­re Publi­ka­tio­nen gewann der Bud­dhis­mus immer mehr an Popu­la­ri­tät und Respekt. Als die Grün­der der Theo­so­phi­schen Bewe­gung, Hele­na Blava­ts­ky und Colo­nel Olcott, aus der Zei­tung erfuh­ren, wie bri­ti­sche Mis­sio­na­re den Bud­dhis­mus in öffent­li­chen Streit­ge­sprä­chen angrif­fen, reis­ten sie nach Cey­lon und wur­den unter gro­ßer öffent­li­cher Anteil­nah­me Bud­dhis­ten (Lach­man 2012: 170–190; Mar­chand 2009: 270–274).

Aber nicht nur Euro­pä­er reis­ten nach Indi­en, um die Reli­gio­nen zu stu­die­ren, auch indi­sche reli­giö­se Den­ker kamen nach Euro­pa, um ihre Welt­sich­ten und Glau­bens­grund­sät­ze bekannt zu machen. So reis­te zum Bei­spiel der Hin­du-Refor­mer Vive­ka­nan­da 1894 nach Chi­ca­go, um im World Par­lia­ment of Reli­gi­ons sei­ne Ansich­ten zu ver­tei­di­gen und im Wes­ten eine Mis­si­ons­ge­sell­schaft zu grün­den (Lüd­de­ckens 2002). Mis­sio­na­re der isla­mi­schen Reform­be­we­gung der Ahma­di­y­ya grün­de­ten 1912 eine Mis­si­on in Woking (GB) und bau­ten 1924 eine Moschee in Ber­lin (Jon­ker 2016: 36–63; Jon­ker 2019). Damit ver­such­ten Hin­dus wie Mus­li­me Sym­pa­thie und Ver­ständ­nis für ihre bedräng­te Lage unter der Kolo­ni­al­herr­schaft zu gewin­nen und bau­ten ein dich­tes Netz von Kon­tak­ten zum Wes­ten auf. Bud­dhis­ten im bri­ti­schen Kolo­ni­al­reich, ob nun auf Cey­lon, in Bir­ma oder Kasch­mir, unter­nah­men eine sol­che Kon­takt­auf­nah­me jedoch nicht. Das mag dar­an lie­gen, dass der Bud­dhis­mus eine Klos­ter­tra­di­ti­on her­aus­bil­de­te, in der Mön­che in größ­ter Armut und Welt­ab­ge­schie­den­heit leb­ten. Im  Fall des Bud­dhis­mus  ging der ers­te Schritt vom Wes­ten aus. Es waren Deut­sche wie Paul Dah­l­ke die von ihren Rei­sen Bücher, Ein­sich­ten und Sprach­kennt­nis­se mit­brach­ten. Ande­re, zum Bei­spiel Anton Gueth (1878 – 1957) und Ernst Lothar Hoff­mann (1898 – 1985), bekehr­ten sich auf Cey­lon zum Bud­dhis­mus und grün­de­ten vor Ort eige­ne Klos­ter­ge­mein­schaf­ten, in denen wie­der­um die nächs­te Gene­ra­ti­on deut­scher Bud­dhis­ten Auf­nah­me fand (Hecker 1990: 58–74 und 75–94).

Erst 1954, als der jun­ge Natio­nal­staat Sri Lan­ka ver­such­te diplo­ma­ti­sche Bezie­hun­gen mit Euro­pa zu knüp­fen, wur­de mit Hil­fe deut­scher Bud­dhis­ten auf Sri Lan­ka eine Mis­si­ons­ge­sell­schaft für Deutsch­land gegrün­det: Die Ger­man Darma Dhu­ta Socie­ty Colom­bo. Dar­auf­hin erfass­te eine natio­na­le Bewe­gung, die One-Mil­li­on-Rupee-Move­ment, das gan­ze Land. Mit dem Erlös kauf­te die Darma Dhu­ta Socie­ty das Bud­dhis­ti­sche Haus in Ber­lin-Froh­nau und eta­blier­te dort die ers­te bud­dhis­ti­sche Mis­si­on, die nicht von deut­schen, son­dern von sri-lan­ki­schen Mön­chen gelei­tet wur­de (Bikkhu Bodhi 2000). So kehr­ten die Deut­schen, die um 1900 aus­ge­reist  waren um in die Geheim­nis­se des Ori­ents ein­zu­drin­gen, als Bud­dhis­ten mit Mis­si­ons­auf­trag nach Deutsch­land zurück. Anton Gueth, der kurz  nach Grün­dung der Mis­si­ons­ge­sell­schaft in Sri Lan­ka starb, wur­de in Colom­bo mit einem Staats­be­gräb­nis geehrt.

Das Bild zeigt sechs Männer (fünf stehend, einer sitzend) vor einem Gebäude, zwischen dessen Säulen ein Banner mit der Aufschrift "Buddhist Mission to Germany" gespannt ist.
Abb. 1 Grün­dung der Bud­dhist Mis­si­on in Colom­bo (1954). Ein­ge­rahm­tes Bild im Ein­gangs­be­reich des Bud­dhis­ti­schen Hau­ses. © GJ Beschrei­bung: 2. von links: Wil­helm Niem­öl­ler; 4. von links: Sieg­mund Feni­ger; sit­zend: Anton Gueth

Publikationen im Archiv

Wie beim Moschee­ar­chiv in Ber­lin-Wil­mers­dorf  han­delt es sich auch im Bud­dhis­ti­schen Haus um Archiv­gut einer pri­va­ten Orga­ni­sa­ti­on. Was sich im Büro des Ver­wal­ters, auf dem Dach­bo­den, im Ver­an­stal­tungs­raum und im Biblio­theks­saal ange­häuft hat, umfasst 100 Jah­re geleb­tes Archiv: Doku­men­te zu Bau­tä­tig­kei­ten, Pre­dig­ten und Manu­skrip­te, Bele­ge über die Ver­wal­tung von Fes­ten und Ver­an­stal­tun­gen sowie Mit­glie­der­kar­tei­en. Hin­zu kom­men ande­re Spu­ren geleb­ten Bud­dhis­mus, sowie eine beein­dru­cken­de Samm­lung bud­dhis­ti­scher Zeit­schrif­ten. Wie die Moschee, so nahm inzwi­schen auch das Bud­dhis­ti­sche Haus Kon­takt zum Lan­des­ar­chiv Ber­lin auf. Damit wur­de der ers­te Schritt zur dau­er­haf­ten Auf­be­wah­rung und öffent­li­chen Nutz­bar­keit des Archivs getan.

Damit hören die Über­ein­stim­mun­gen zwi­schen bei­den Häu­sern aber auch auf. Der größ­te Unter­schied zwi­schen bei­den Mis­sio­nen ist in deren jewei­li­gen Blick­rich­tun­gen zu suchen. Die mus­li­mi­schen Mis­sio­na­re aus Laho­re brach­ten Inter­es­se an der Lebens­welt ihrer deut­schen Gemein­de­mit­glie­der mit. Um sich ein Bild des „Ande­ren“ im reli­giö­sen Erle­ben die­ser Deut­schen zu machen schaff­ten sie sich Lite­ra­tur über Theo­so­phie und Lebens­re­form an. Hin­ge­gen sam­mel­ten die Deut­schen im Bud­dhis­ti­schen Haus alles was sie als ‚das Geheim­nis Indi­ens’ betrach­te­ten: neben den kano­ni­schen Tex­ten des Ther­ava­da-Bud­dhis­mus waren das auch Rei­se­be­rich­te über Indi­en und Tibet sowie Abhand­lun­gen über Mys­tik, Yoga, Sri Auro­bin­du und Krish­na­mur­ti. In der Tat bil­de­te sich der deut­sche Bud­dhis­mus im Umfeld der Theo­so­phi­schen Bewe­gung her­aus. Vie­le sei­ner Anhän­ger, die im bud­dhis­ti­schen Haus Bud­dhist gewor­den waren, kamen aus der Lebens­re­form­be­we­gung oder waren Theo­so­phen, bevor sie zum Bud­dhis­mus über­tra­ten (Bigal­ke 2013, Mür­mel 2001).

Zeitschriftenschrank des Archivs des Buddhistischen Hauses
Abb. 2 Der Zeit­schrif­ten­schrank © GJ

Die Auf­fas­sun­gen dar­über, was Bud­dhis­mus sei, diver­gier­ten zwi­schen bei­den Grup­pen. Die Grün­de­rin der Theo­so­phie Ele­na Blava­ts­ky erblick­te in der Bud­dha-Leh­re eine Mani­fes­ta­ti­on des ver­bor­ge­nen Welt­geis­tes. Ihr ging es um das dahin­ter­lie­gen­de eso­te­ri­sche Wis­sen, das Bud­dha in Tei­len ent­hüllt haben soll­te (Blava­ts­ky 1890: 61–83). Paul Dah­l­ke, der Grün­der einer puri­ta­ni­schen, manch­mal gar pro­tes­tan­tisch anmu­ten­den Form des Bud­dhis­mus, hin­ge­gen erblick­te im Bud­dhis­mus einen Weg um sich vom „Ich“ zu befrei­en und im „Nicht-Selbst“ auf­ge­hen zu las­sen (Dah­l­ke 1926: 89–93). Um sein Pro­fil zu schär­fen muss­te er sich also abgrenzen.

Die haus­ei­ge­nen Publi­ka­tio­nen „Neu-Bud­dhis­ti­sche Zeit­schrift“ (1918–1923) und „Bro­cken-Samm­lung“ (1924–1938), die bei­de aus­schließ­lich mit Dah­l­kes Bei­trä­gen gefüllt wur­den, boten ihm eine Platt­form, um sei­ne Auf­fas­sun­gen gegen die­je­ni­gen ande­rer (deut­scher und eng­li­scher) Bud­dhis­ten zu ver­tei­di­gen. Die vie­len ver­schie­de­nen Zeit­schrif­ten aus die­ser Zeit wei­sen nicht nur auf eine rege Publi­ka­ti­ons­tä­tig­keit hin, son­dern auch dar­auf, dass im west­li­chen Bud­dhis­mus Sek­tie­rer­tum um sich griff. Die Autorin die­ses Essays zähl­te im Archiv neben den bei­den Zeit­schrif­ten von Dah­l­ke 38 ver­schie­de­ne Zeit­schrif­ten. Dar­über hin­aus exis­tier­te noch eine wei­te­re Haus­schrift, die nicht direkt im Haus, son­dern auf dem Gelän­de des Bud­dhis­ti­schen Hau­ses her­aus­ge­ge­ben wur­de. „Bud­dhis­ti­sches Den­ken und Leben (BDL)“ (1930 – 1943) war das Sprach­rohr der Bud­dhis­ten um Kurt Fischer, die nach dem Tod Dah­l­kes aus der Vil­la aus­ge­zo­gen waren und sich ein eige­nes Haus auf dem Gelän­de errich­tet hat­ten. Es war ein Schis­ma in nächs­ter Nähe. Um was es dabei ging, ist der Zeit­schrift impli­zit zu ent­neh­men. In der BDL wur­de der soge­nann­ten bud­dhis­ti­schen Theo­so­phie in Gestalt von C.G. Jung ein fes­ter Platz ein­ge­räumt. Bekannt­lich trat der Schwei­zer Psy­cho­ana­ly­ti­ker Jung auch für Para­psy­cho­lo­gie, Eso­te­rik, Sophis­mus und christ­li­che Mys­tik ein. Indem die BDL sei­ne Arti­kel druck­te, bekann­te die Zeit­schrift sich expli­zit zu die­sen The­men­fel­dern. Eine sol­che Erwei­te­rung bud­dhis­ti­scher Inter­es­sen war unter Dah­l­ke nicht denk­bar gewe­sen, und unter der Lei­tung Ber­tha Dah­l­kes, die ihrem Bru­der 1928 folg­te, wur­de sie schlicht verboten.

Das Haus als Archiv

Im Bud­dhis­ti­schen Haus wer­den die­se Abgren­zungs­be­stre­bun­gen viel­leicht am direk­tes­ten im Bau­plan sicht­bar. Im Haus gab es näm­lich kei­ne Küche. „Jeder war Selbst­ver­sor­ger. Auf einem klei­nen Bren­ner wur­de als ein­zi­ge Nah­rung gekoch­ter Reis, Hir­se oder Hafer­flo­cken (…) berei­tet“ (Girod 1974:83). Dah­l­ke sah im „Nah­rungs­vor­gang“ nichts ande­res als einen klein­zu­hal­ten­den „Ich-Vor­gang“. Für ihn galt: „alle Nah­rung ist Elend“ (Dah­l­ke 1918:24). Zwar soll­te ein Bud­dhist Nah­rung zu sich neh­men, aber „Erle­ben muß ein jeder für sich sel­ber, so wie ein jeder für sich sel­ber essen muß“ (Dah­l­ke 1926: 6).

Zu sehen sind zwei Ansichten des Hauses im Stil einer technischen Zeichnung
Abb. 3 Bau­plan des Hau­ses 1924 © Stadt­ar­chiv Berlin-Reinickendorf

Wo es um Essen, Gemein­schaft und Gesel­lig­keit ging, trenn­te eine tie­fe Kluft den Froh­nau­er Bud­dhis­ten nicht nur von Lebens­re­for­mern und Theo­so­phen, son­dern auch von ande­ren Bud­dhis­ten. Die haus­ei­ge­nen Publi­ka­tio­nen bie­ten in der Hin­sicht eine rei­che Lek­tü­re. Erst 1957, als die Ger­man Darma Dhu­ta Socie­ty das Haus bezog, wur­de eine Küche ange­baut um die resi­die­ren­den Mön­che zu ver­sor­gen. Die­se Tat­sa­che ver­rät  mehr über die Unter­schie­de zwi­schen dem deut­schen und dem indi­schen Bud­dhis­mus als alle Pre­dig­ten und Publi­ka­tio­nen zusammen.

Der Zettelkasten

Das Vor­kriegs­ar­chiv im Bud­dhis­ti­schen Haus könn­te man auch als „Dah­l­ke-Archiv“ bezeich­nen.  Es umfasst sei­ne Schrif­ten und Noti­zen, Über­set­zun­gen sei­ner Tex­te, sei­ne Auf­zeich­nun­gen für ein Pali-Wör­ter­buch, sowie ver­schie­de­ne Arbei­ten sei­ner Schü­ler und Geg­ner, dar­un­ter Lavi­nia von Monts, Kurt Fischer, Mar­tin Stein­ke und Gui­do Aus­ter (Hecker 1997). Am unmit­tel­bars­ten jedoch ist Dah­l­ke in den mit Band zuge­schnür­ten Bün­deln von Kar­tei­kar­ten zuge­gen, die einst den Inhalt (oder einen Teil) sei­nes Zet­tel­kas­tens bildeten.

Ihre kur­so­ri­sche Durch­sicht ergab, dass die frü­hes­ten Noti­zen das Datum 1874 tra­gen und auf der Rück­sei­te eines Kon­sis­to­ri­um-Rund­schrei­bens geschrie­ben wur­den. Wer die Süt­ter­lin­schrift ent­zif­fern kann, fin­det hier Fra­gen, Gedan­ken, abge­schrie­be­ne Zita­te oder auch Hebrä­isch-Übun­gen in unbe­hol­fe­ner Kin­der­hand. Soll­te sich erwei­sen, dass Paul Dah­l­ke ein Leben lang die Gewohn­heit hat­te, sich über alles und jeden Noti­zen zu machen, so wäre damit eine rei­che Quel­le vor­han­den, die über die Über­gän­ge zwi­schen deut­schem Pro­tes­tan­tis­mus und deut­schem Bud­dhis­mus im Pris­ma sei­nes Lebens Auf­schluss geben könnte.

Das Archiv der Dinge

Der Ein­zug bud­dhis­ti­scher Mön­che aus Sri Lan­ka in das Bud­dhis­ti­sche Haus Ber­lin-Froh­nau im Jahr 1957 läu­te­te einen Bruch mit der Ver­gan­gen­heit ein. Ihr Stil war ein ande­rer, ihre Ver­wal­tung des Hau­ses hin­ter­ließ im Archiv ganz ande­re Spu­ren. Der Mönch Sri Gna­na­wi­mi­la etwa, der dem Haus von 1965 bis 1985 vor­stand, hin­ter­ließ kei­ne Zeit­schrift son­dern ca. einen Meter getipp­ter und hand­ge­schrie­be­ner Pre­dig­ten, umfang­rei­che Kor­re­spon­den­zen mit der Socie­ty in Colom­bo sowie 24 Ord­ner mit Ver­wal­tungs­un­ter­la­gen. Sei­ne Amts­zeit war geprägt von einem neu­en Inter­es­se an öst­li­chen Reli­gio­nen und Phi­lo­so­phien, auf das er mit Lehr­re­den, dem Bau von Medi­ta­ti­ons­klau­sen sowie Yoga- und Medi­ta­ti­ons­kur­sen reagier­te. Mit Sek­tie­rer­tum hielt er sich nicht auf; alle, die sich aus wel­chem Grund auch immer inter­es­sier­ten, waren ihm will­kom­men. Augen­zeu­gen berich­ten, dass sich in der Kern­zeit manch­mal bis zu 1.500 Besu­cher auf dem Gelän­de befan­den. Eine ande­re Hin­ter­las­sen­schaft die­ser Zeit ist die Tra­di­ti­on der Bei­set­zung zer­bro­che­ner Bud­dha-Sta­tu­en, die, von Schü­lern vor­bei­ge­bracht, ein­mal im Jahr zere­mo­ni­ell im Bud­dha-
Gemein­schafts­grab ver­gra­ben wer­den. Auch das ist ein Archiv: ein Archiv der Din­ge, das sich nach und nach unter die Erde ver­la­gert hat.

Kiste mit zerbrochenen Buddha-Statuen aus dem Archiv
Abb. 6 Zer­bro­che­ne Bud­dha-Sta­tu­en war­ten im Kar­ton auf ihre Beer­di­gung. © GJ

Auflistung des Archivguts (außer Bibliothek)

Vor dem Krieg

  • Paul Dah­l­ke: alle Publi­ka­tio­nen (25 Bücher)
  • Zwei Bün­del Kar­tei­kar­ten aus dem Hand­zet­tel­kas­ten von Paul Dahlke
  • 10–15 gebun­de­ne Hef­te mit Über­set­zun­gen von Dah­l­kes Tex­ten ins Englische
  • Ent­wür­fe für Pali-Wör­ter­bü­cher (Gui­do Aus­ter, Lavi­nia von Monts)
  • Dis­ser­ta­tio­nen über Dah­l­ke (in Typoskript)
  • Kor­re­spon­den­zen zwi­schen Kurt Fischer und Ver­la­gen in Leip­zig (1920 – 1934)
  • Mar­tin Stein­ke: Per­sön­li­ches, Schriften
  • Pho­to­gra­phien von Ori­ent­rei­sen aus dem Besitz von Paul Dah­l­ke (1900)
  • Fotos und Zei­tungs­aus­schnit­te über das Bud­dhis­ti­sche Haus (1934)
  • Zei­tungs­be­rich­te über den Bud­dhis­mus in Japan, Hong­kong, Taiwan

Nach dem Krieg

  • Sri Gna­na­wi­ma­la: Vor­trä­ge und Pre­dig­ten (1965–1980)
  • Sri Gna­na­wi­ma­la: Kor­re­spon­den­zen mit der Socie­ty in Colom­bo (1965–1975)
  • Gui­do Aus­ter: Biblio­theks­kor­re­spon­denz (1960–1984)
  • Ein Holz­kas­ten mit der Mit­glieds­kar­tei (1960–1970er)
  • Unter­la­gen der Ger­man Dhar­ma­du­ta Socie­ty (1985–1990)
  • Mit­glieds­an­trä­ge der GDS Colom­bo 1954, Adressbücher
  • 24 Ord­ner mit Doku­men­ten zur Haus­ver­wal­tung, Bank­aus­zü­gen, Rech­nun­gen (1960–1998)
  • 10 Foto­al­ben
  • In Tuch ein­ge­schla­ge­ne Pali-Tex­te auf Palmblatt
  • Meh­re­re Kist­chen mit zer­bro­che­nen Buddha-Statuen

Bau-Unterlagen

  • 36 Map­pen und Leit­z­ord­ner mit Bauplänen
  • 3 Map­pen mit Bauzeichnungen
  • 1 Rol­le mit Bau­zeich­nun­gen für die Bibliothek
  • Unter­la­gen für den Bau einer Friedenspagode

Literaturverzeichnis

Arnold, Edwin, Light of Asia, or The Gre­at Ren­un­cia­ti­on: being the life and tea­ching of Gau­t­ama, prin­ce of India and foun­der of Bud­dhism (1879). Lon­don: Rout­ledge, 2016.

Bho­di, Bhikkhu, Pro­mo­ting Bud­dhism in Euro­pe, 2000, https://www.budsas.org/ebud/ebdha194.htm. (Last acces­sed on: 11.11.2019)

Bigal­ke, Ber­na­dett, Lebens­re­form und Eso­te­rik um 1900. Würz­burg: Ergon, 2013.

Blava­ts­ky, Hele­na P., The Key to Theo­so­phy. New York: Sera­pis Clas­sics, 1890.

Dah­l­ke, Paul, „Indi­sche Skiz­ze“. Neu-Bud­dhis­ti­sche Zeit­schrift (1918): S. 24–25.

——–, „Unser Haus“ und „Buch­be­spre­chung von Georg Grimm, Die Wis­sen­schaft des Bud­dhis­mus“. Die Bro­cken­samm­lung : Zeit­schrift für ange­wand­ten Bud­dhis­mus (1926): S. 4–6 und 89–93.

Girod, Doro­thea, „Spa­zier­gän­ge mit Dok­tor Dah­l­ke“. In: 50 Jah­re Bud­dhis­ti­sches Haus. Ber­lin-Froh­nau, 1974, S. 80–84.

Hecker, Hell­muth, Lebens­bil­der deut­scher Bud­dhis­ten. Ein Bio-Biblio­gra­phi­sches Hand­buch. Band I: Die Grün­der. Kon­stanz: Uni­ver­si­tät Kon­stanz, 1990.

——–, Lebens­bil­der Deut­scher Bud­dhis­ten. Ein Bio-Biblio­gra­phi­sches Hand­buch. Band II: Die Nach­fol­ger. Kon­stanz: Uni­ver­si­tät Kon­stanz, 1997.

Jon­ker, Ger­dien, The Ahma­di­y­ya Quest for Reli­gious Pro­gress. Mis­sio­ni­zing Euro­pe 1900 – 1965. Lei­den: EJ Brill, 2016.

——–, „Das Moschee­ar­chiv in Ber­lin-Wil­mers­dorf: Zwi­schen mus­li­mi­scher Moder­ne und deut­scher Lebens­re­form“. MIDA Archi­val Refle­xi­con (2019). https://www.projekt-mida.de/reflexicon/das-moscheearchiv-in-berlin-wilmersdorf_zwischen-muslimischer-moderne-und-deutscher-lebensreform/. (Last acces­sed on: 11.11.2019)

Lach­mann, Gary, Madame Blava­ts­ky. The Mother of Modern Spi­ri­tua­lism.  New York: Pen­gu­in, 2012.

Lüd­de­ckens, Doro­thea, Das Welt­par­la­ment der Reli­gio­nen. Struk­tu­ren inter­re­li­giö­ser Begeg­nung im 19. Jahr­hun­dert. Ber­lin: De Gruy­ter, 2002.

Mar­chand, Suzan­ne L., Ger­man Ori­en­ta­lism in the Age of Empire. Reli­gi­on, Race, and Scho­lar­ship. Cam­bridge: Cam­bridge Uni­ver­si­ty Press, 2009.

Mür­mel, Heinz, „Bud­dhis­mus und Theo­so­phie in Leip­zig vor dem ers­ten Welt­krieg“. In: Man­fred Hüt­ter (Hg.) Bud­dhis­ten und Hin­dus im deutsch­spra­chi­gen Raum. Ber­lin: Peter Lang, 2001, S. 123–136.

Sey­del, Rudolf, Die Bud­dha-Legen­de und das Leben Jesu nach den Evan­ge­li­en.  Leip­zig: Otto Schul­ze, 1884.

Korrespondierende Archive

Die Uni­ver­si­tät Göt­tin­gen, Indo­lo­gi­sches Semi­nar, ver­wahrt (Teil-)Nachlässe eini­ger deut­schen Buddhisten.

Ger­dien Jon­ker, Erlan­ger Zen­trum für Islam und Recht in Euro­pa (EZIRE), Fried­rich-Alex­an­der Uni­ver­si­tät Erlangen

MIDA Archi­val Refle­xi­con

Edi­tors: Anan­di­ta Baj­pai, Hei­ke Liebau
Lay­out: Mon­ja Hof­mann, Nico Putz
Host: ZMO, Kirch­weg 33, 14129 Ber­lin
Cont­act: archival.reflexicon [at] zmo.de

ISSN 2628–5029