By Anandita Bajpai
Published in 2021
DOI 10.25360/01–2022-00008
Image: Projekt MIDA logo
Deutsche Archive enthalten ein reichhaltiges Spektrum an Quellen zur modernen indischen Geschichte und bieten somit die Möglichkeit, durch die Erforschung der Geschichte deutsch-indischer Verflechtungen auch neue Forschungsfelder im Bereich der transnationalen Geschichte und des historischen Vergleichs zu erschließen. Durch die systematische Einbeziehung dieser Quellen können Wissenschaftler*innen zudem die Priorisierung britischer Kolonialarchive überwinden und so auch neue Forschungsperspektiven in der Auseinandersetzung mit der modernen indischen Geschichte entwickeln.
Das MIDA Archival Reflexicon ist Bestandteil des MIDA Rechercheportals, das sich aus der Datenbank, dem Archival Reflexicon und den Thematischen Ressourcen zusammensetzt. Das Archival Reflexicon bietet einen umfassenden Überblick über Indien-bezogene Bestände in deutschen Archiven. Es ist ein offenes, zweisprachiges Diskussionsforum, auf dem themenbezogen tiefgründig und kritisch über diese Bestände reflektiert wird. Dabei geht es nicht nur um theoretische und konzeptionelle Fragen, die die Beschäftigung mit verflochtenen transnationalen und globalen Geschichten aufwirft, sondern auch um methodische Probleme, die sich aus verflechtungsgeschichtlichen Forschungsfragen und der damit verbundenen Erschließung verflochtener Archivbestände ergeben. Ein wichtiges Anliegen des Reflexicons ist es, auf verschiedenen Ebenen die Ordnungsarchitektur der Archive kritisch zu hinterfragen und damit Beschränkungen auf eine einfache binäre Logik in der Erforschung der Geschichte deutsch-indischer Verflechtungen zu überwinden.
Das Archival Reflexicon ist als komplementäre Säule zur Datenbank und zu den Thematischen Ressourcen konzipiert. Es ist eine stetig wachsende, offene digitale Ressource, die der internationalen Nutzer*innengemeinschaft online zur Verfügung steht. Während die MIDA Datenbank die Nutzer*innen durch Bestandsbeschreibungen und Sachwortverzeichnisse direkt an die Quellen heranführt und die Beiträge in den Thematischen Ressourcen themenbezogene Forschungsdatensammlungen zur weiteren Nutzung aufbereiten, ist das Archival Reflexicon der Ort für einen inhaltlichen, methodischen und theoretischen Austausch. Es ist eine digitale Plattform, die darauf gerichtet ist, Nutzer*innen mit spezifischen Forschungsgegenständen nicht nur einen umfangreichen Überblick über indienbezogene Quellen in deutschen Archiven zu geben, sondern auch Einführungen in Bestände zu spezifischen Themen zu liefern. Wo sollte man nach Quellen zu bestimmten Themen suchen? Welche Bestände sind relevant und was können sie bieten? Wie hängen diese Bestände zusammen und welche Synapsen und Synergien sind erkennbar? Mit den Beiträgen im Archival Reflexicon werden die Ergebnisse, die in der Datenbank entlang institutioneller und territorialer Archivlogiken erfasst sind, kritisch reflektiert. um ein Erforschen und Schreiben von Geschichte(n), das vornehmlich eben diesen Archivlogiken folgt, zu vermeiden.
Diese kritische Auseinandersetzung erfolgt auf drei Ebenen:
(i) Thematisch ist der Archivführer eine sich ständig erweiternde Plattform für Diskussionen über neue Forschungsthemen. Zahlreiche Beiträge heben bereits in der Datenbank einsehbare Ergebnisse hervor und reflektieren darüber unter einem bestimmten thematischen Vorzeichen, eingebunden in ein spezifisches Forschungsprojekt (z.B. der Beitrag zu Herbert Fischer, von welchem viele Quellen in den in der Datenbank aufgeführten Beständen des Bundesarchivs untergebracht sind). Andere Beiträge berühren Themen, die in den in der Datenbank aufgeführten Beständen nicht oder nur ansatzweise vertreten sind und gehen damit bewusst über die Datenbank hinaus. Externe Expert*innen, die nicht im MIDA Projekt arbeiten sind eingeladen, entsprechende Beiträge zu verfassen. Diese Strategie ergibt sich daraus, dass nicht sämtliche indienbezogenen Bestände in allen deutschen Archiven in dem MIDA zur Verfügung stehenden Zeitraum erfasst werden können. Der damit verbundene akademische Austausch mit einer größeren Gemeinschaft von Historiker*innen und Spezialist*innen zur modernen Geschichte Südasiens ist eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg von MIDA, stellt aber gleichzeitig auch ein Ergebnis der im Rahmen von MIDA geschaffenen Möglichkeiten dar.
(ii) In methodologischer Hinsicht bieten Beiträge im Archival Reflexicon eine vertiefende Diskussion darüber, wie die Datenbank die Architektur der darin aufgeführten Archivbestände „digital“ transformiert und welche Folgen sich daraus ergeben. Bestände mit Bezug zu Indien sind nach dem Provenienzprinzip in deutschen Archiven untergebracht. Die MIDA-Datenbank transformiert diese Kategorisierungen nach dem Prinzip der Pertinenz, indem die entsprechenden Quellen mit einem Bezug zu Indien extrahiert und somit thematisch neu (ein)geordnet werden. Das heißt, die Datenbank spiegelt zwar einerseits die Architektur des betreffenden Archivs, stellt aber andererseits gleichzeitig die indienbezogenen Quellen in einem neuen systematischen Zusammenhang dar. Die themenbezogenen Beiträge im Reflexicon laden dazu ein, die methodischen Fragen dieser neuen Katalogisierungen am konkreten Beispiel zu diskutieren und damit die Logiken der Datenbank wieder zu durchbrechen.
(iii) Theoretisch beziehen sich die Diskussionen innerhalb des Archival Reflexicons vor allem auf eine zentrale Frage: Wie kann ein Projekt wie MIDA eine neue Struktur von Metadaten schaffen, die die institutionelle und territoriale Logik bestehender Archive durchdringt und gleichzeitig vermeidet, diese Logik durch eine ebenso enge und gebietsgebundene bilaterale „indo-deutsche“ Logik zu ersetzen? Welche Formate von Suchhilfen sind erforderlich, um die falsche Trennung von „technisch“ und „wissenschaftlich“ zu überwinden? Darüber hinaus befassen sich Beiträge mit den Zusammenhängen von verflochtenen Archiven und verflochtenen Geschichten, mit den Anforderungen an digitale Geisteswissenschaften oder mit Debatten über Verbindungen von institutionellen und oral histories.
Beiträge im Rahmen des Archival Reflexicon können sich auf diesen drei Ebenen kritisch mit ganz unterschiedlichen Fragen auseinandersetzen. Der zentrale Fokus aller Beiträge sind Bestände zum modernen Indien in deutschen Archiven.
Autor*innen können sich den Beständen themenbezogen, mit einer spezifischen Forschungsfrage nähern und somit Forschenden einen detaillierten Überblick über entsprechende Quellenbestände liefern. Martin Christof-Füchsle beleuchtet zum Beispiel die Mysore-Kriege im 18. Jahrhundert aus der Sicht der Angehörigen des Hannoveraner Regiments. Er beschreibt nicht nur den historischen Hintergrund der Kriege, die relevanten Bestände zum Thema in deutschen Archiven, sondern gibt auch eine Bewertung der Quellen und Bestände sowie eine Liste verwandter Archive, Archivquellen und eine Übersicht über relevante Sekundärliteratur zu diesem Thema. Inhaltlich direkt mit diesem Beitrag verknüpft ist der Text von Chen Ashkenazi, in dessen Mittelpunkt Archivbestände über deutsche Soldaten in Indien im 18. Jahrhundert stehen.
Die Texte können von einem speziellen Archiv ausgehen und dessen indienbezogene Bestände beleuchten. Das ist beispielsweise der Fall in dem Artikel von Brigitte Klosterberg über die Missionsbestände im Archiv der Franckeschen Stiftungen in Halle, der sich auf die Arbeit der Dänisch-Halleschen Mission in Südindien bezieht.
Einige Artikel des Reflexicons sind nicht nur mit der Datenbank, sondern auch direkt mit einem Beitrag in den Thematischen Ressourcen verknüpft. So sind beispielsweise Bestandsbeschreibungen zu indienbezogenen Sammlungen im Archiv des ZMO, Berlin, Teil der MIDA Datenbank. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit Teilen des Nachlasses des Historikers und Südasienwissenschaftlers Horst Krüger erfolgt in dem Archival Reflexicon-Text von Razak Khan und eine Auflistung aller dort vorhandenen Quellen zu Mohammad Kunwar Ashraf in der entsprechenden Thematischen Ressource.
Das MIDA Archival Reflexikon ist somit ein reflexives Lexikon, in dem darüber nachgedacht wird, wie man durch indienbezogene Bestände in deutschen Archiven navigiert, sich einen Überblick über diese Bestände zu bestimmten Themen verschafft und wie man sich kritisch mit größeren theoretischen und methodischen Debatten auseinandersetzt, die sich durch das Auffinden, Extrahieren, Auflisten, Ordnen und Indexieren von Informationen ergeben.
Nutzung und Kontakt:
Das Archival Reflexicon wird von Anandita Bajpai und Heike Liebau herausgegeben. Es ist Bestandteil des DFG Langfristvorhabens „Das Moderne Indien in Deutschen Archiven 1706–1989)“. Für die technische Umsetzung zeichnen Monja Hofmann und Nico Putz verantwortlich.
Selbstverständlich können Benutzer*innen jeden Beitrag, den sie verwenden möchten, herunterladen oder als pdf speichern. Die Beiträge haben eine offizielle ISSN-Nummer und sind eine Open-Access Online-Publikation.
Wer einen eigenen Beitrag für das Archival Reflexicon verfassen möchte, findet auf der Website Richtlinien für Autor*innen. Beiträge können in deutscher oder englischer Sprache eingereicht werden. Bitte kontaktieren Sie die Herausgeberinnen.
Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Navigieren und freuen uns auf Ergänzungen, kritische Kommentare und natürlich auf neue Beiträge!
Anandita Bajpai, Leibniz-Zentrum Moderner Orient
MIDA Archival Reflexicon
Editors: Anandita Bajpai, Heike Liebau
Layout: Monja Hofmann, Nico Putz
Host: ZMO, Kirchweg 33, 14129 Berlin
Contact: archival.reflexicon [at] zmo.de
ISSN 2628–5029