Von Tobias Delfs
Veröffentlicht 2019
DOI 10.25360/01–2022-00006
Image: A botanical drawing of the species Plantae Asiaticae Rariores from Wallich’s book Plantae Asiaticae Rariores (Volume 1, 1830); Image detail from https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/c/c4/Plantae_Asiaticae_Rariores_-plate_001-Amherstia_nobilis.jpg/582px-Plantae_Asiaticae_Rariores-plate_001-_Amherstia_nobilis.jpg
Dieser MIDA Archival Reflexicon Eintrag wurde im Jahr 2021 von Rekha Rajan ins Englische übersetzt und ist nun zusätzlich unter dem Titel „The German Network around the Danish Botanist and Superintendent of the Botanical Garden in Calcutta, Nathaniel Wallich (1786–1854)“ vorhanden.
Inhaltsverzeichnis
Deutsche in den Kolonien | Der deutschsprachige Raum | Archive und Bestände | Quellen und Literatur
Nach einem Medizinstudium in Kopenhagen begab sich 1807 der schon zu dieser Zeit botanisch interessierte, aus einer deutsch-jüdischen Familie stammende Nathaniel Wallich nach Serampore nahe Kalkutta, um dort als Arzt der dänischen Handelskompanie zu arbeiten. Als das dänische Serampore nur kurz danach im Zuge der Napoleonischen Kriege von den Briten besetzt worden war, wurde Wallich zunächst zu einem Gefangenen. Seine Profession als Arzt war jedoch gerade unter den Europäern in den Kolonien gefragt und er konnte schnell gute Kontakte zu einflussreichen Persönlichkeiten wie den Mitgliedern der Asiatic Society, den britischen baptistischen Missionaren rund um William Carey und William Ward in Serampore oder dem Leiter des Botanischen Gartens von Kalkutta William Roxburgh aufbauen. Hierzu trugen nicht zuletzt auch seine starken botanischen Interessen bei. Beides brachte ihn 1817 letztlich in die Position des Superintendenten des Botanischen Gartens von Kalkutta. Von hier aus startete Wallich über die Jahrzehnte hinweg verschiedene Forschungs- und Erholungsreisen zum Beispiel nach Nepal oder Assam, nach Singapur, in die Kapkolonie und nach Mauritius und sein Korrespondenznetzwerk wurde immer globaler, reichte vereinzelt bis in die USA, nach Brasilien und nach Australien (Krieger 2014, 2017a, Harrison 2011, Arnold 2008).
In den Jahren 1828 bis 1832 hielt sich der Botaniker wieder in Europa auf und verteilte mit der Erlaubnis seines Arbeitgebers, der EIC, von London aus international koordiniert seine aus Indien mitgebrachten Pflanzensammlungen und Dubletten zur weiteren Auswertung an den jeweiligen Experten für die speziellen Familien. Allein schon aus zeitlichen Gründen war es ihm schlicht unmöglich, ganz alleine eine Analyse des zusammengetragenen Materials vorzunehmen. Deshalb bezog er nun renommierte Botaniker aus ganz Europa mit ein (Krieger 2017a, Harrison 2011, Wallich 1830). So finden sich in seiner Korrespondenz neben berühmten britischen Namen wie George Bentham, William Jackson Hooker, Robert Brown oder Robert Greville, auch solche aus Dänemark, Frankreich, aus der Schweiz und eine ganze Reihe von Forschern aus dem weiteren deutschsprachigen Raum beziehungsweise von Deutschen, die selbst im Ausland tätig waren.
Wallich selbst hat seine umfangreichen Briefwechsel, die heute im Central National Herbarium im Botanischen Garten von Kalkutta verwahrt werden, in Form eines chronologischen Index systematisch verzeichnet. Darin finden sich auch Angaben zu Briefen, die nicht mehr überliefert sind, wie der Botaniker auch zuweilen biographische Zusatzangaben zu bestimmten Personen eingefügt hat. Leider endet der Index bereits im Jahre 1831, ist also unvollständig. Die Briefe selbst, die in den meisten Fällen an Wallich gerichtet waren, wurden gebunden und liegen ebenfalls chronologisch geordnet in Jahresbänden (manchmal mehrere Jahrgänge umfassend) vor. In vielen Fällen sind das Eingangsdatum und sogar das Datum der Antwort auf ihnen verzeichnet. Das Papier ist allerdings hin und wieder in einem schlechten oder in einem sehr schlechten Zustand. Einige Briefe haben sich aus der Bindung gelöst, befinden sich nicht mehr in ihrem Ursprungsband und sind deshalb heute, wenn sie kein Datum enthalten oder es nicht konkret aus ihrem Inhalt hervorgeht, schwierig zu datieren.
Umso wichtiger werden weitere Archive, die ergänzend zu den Briefbeständen in Kalkutta zu Rate gezogen werden können. Neben den einschlägigen britischen und dänischen Archiven, d. h. den Beständen der dortigen Ostindienkompanien, der verschiedenen Wissenschaftsgesellschaften, der Botanischen Gärten in Kew (und anderswo in Großbritannien) sowie in Kopenhagen kommen auch deutsche Archive vor allem mit ihren Nachlässen von einzelnen Botanikern in Betracht. In ihnen werden ab und an die Briefe von Wallich selbst verwahrt, die in Kalkutta nur manchmal in Abschrift oder als Entwurf vorliegen. Ebenso finden sich Teile der dort nicht (mehr) vorhandenen oder beschädigten Korrespondenz wieder. Hinzu kommen die Kommunikation der Botaniker untereinander über Wallich und Indien und der weltweite Austausch, so dass auch Bestände etwa in Kapstadt oder Sydney relevant werden. Mit Hilfe dieser Quellen lassen sich die Praxis und der konkrete Ablauf der botanischen Forschung und Kommunikation über Indien und noch darüber hinaus, die Rolle globaler sozialer Netzwerke dabei, aber auch Karrierestrategien und Patronagestrukturen der einzelnen Akteure und Institutionen untersuchen. Über allem steht auch die Frage nach der Partizipation deutscher Akteure an der imperialen Durchdringung Indiens. Denn immerhin beteiligten sich auch zu dieser Zeit schon deutschsprachige Botaniker am empire of knowledge, profitierten von dessen Sammlungen und dem internationalen Austausch, nahmen mit eigenen Beiträgen daran teil, schufen oder stützten, bewusst oder unbewusst, mit ihrem wissenschaftlichen Sachverstand das koloniale Management der Ökosysteme und letztlich auch deren Ausbeutung. Die Botanik war oftmals eng verquickt mit politischen und bürokratischen Strukturen und beide Seiten waren aufeinander angewiesen.
Deutsche in den Kolonien
Im Gelehrtennetzwerk Wallichs, das sich nicht auf reine Pflanzenkundler beschränkte, sondern generell Naturforscher, aber auch Philologen und Historiker umfasste, nehmen deutschsprachige Forscher einen nicht unbeträchtlichen Raum ein. Dabei ist generell zwischen denjenigen on the spot, also denjenigen die sich quasi auf dem Feld in Indien oder in anderen Kolonien befanden und selbst sammelten, und denjenigen, die lediglich in ihrer heimischen Gelehrtenstube Material und Briefe mit Wallich austauschten, zu unterscheiden. Bei Letzteren handelte es sich zumeist um Universitätsprofessoren oder um die Leitungsebene botanischer Gärten, während Erstere oftmals auch Amateur-Botaniker sein konnten, die neben ihrer Haupttätigkeit zum Beispiel als Missionar, als Schiffskapitän, als Apotheker oder im Militär Pflanzen und Tiere sammelten. Übergänge waren fließend. Wallich selbst war vor der Übernahme des Botanischen Gartens Arzt gewesen. Ein zentraler Bestandteil seiner Ausbildung war jedoch auch die Botanik (Krieger 2014) – gleiches galt im Übrigen für Apotheker, die wegen mangelnder Perspektiven in Europa im 19. Jahrhundert zahlreich in die Kolonien auswanderten. Zu den genannten Akteuren der Briefwechsel kommen noch deutsche Personen, die selbst nicht botanisierten, jedoch Hilfe dabei boten, indem sie etwa Infrastruktur und Logistik bereitstellten oder wertvolle Kontakte ermöglichten. So nahm Wallich 1843 an einer Vermessungsexpedition in Südafrika teil, die er für botanische Exkursionen in die Zedernberge nutzen wollte (Krieger 2017a). Die Kapkolonie wurde oft als Zwischenstation von den Schiffen von und nach Indien angelaufen, zum Beispiel um Proviant aufzunehmen. Einige deutsche Botaniker und Amateurforscher, wie der Berliner Adelbert von Chamisso 1818 (Chamisso 1836), nutzten diesen Aufenthalt auch für kleinere Exkursionen und suchten dabei Anschluss bei den nicht wenigen bereits in Kapstadt ansässigen Deutschen, die sich auffällig häufig aus der Pharmazie rekrutierten und ebenfalls botanisierten. Für die Vermessungsexpedition nahm Wallich hingegen Kontakt zur Rheinischen Mission in der südafrikanischen Missionsstation Wupperthal, benannt nach der gleichnamigen deutschen Stadt, auf. Von dort aus sollten einheimische Träger, Ochsenwagen und Nahrungsmittel organisiert werden Oftmals befanden sich die Missionare ja bereits in Gebieten, die von den Europäern noch nicht erschlossen oder gänzlich unbekannt waren und konnten so auch Ortskenntnis und eine Basis bieten. In Wallichs Korrespondenz findet sich etwa eine ihm von der Rheinischen Mission zur Verfügung gestellte Karte der Kapkolonie, in der die verschiedenen Stationen unterschiedlicher Missionsgesellschaften verzeichnet waren. Umgekehrt unterstützte der Botaniker und Arzt die Missionare beispielsweise bei medizinischen Problemen, waren doch gerade im ruralen Raum Mediziner rar.
Schon lange vor Wallichs Südafrikaaufenthalt hatten ihn verschiedene deutsche Botaniker von dort aus in Kalkutta angeschrieben, so der unter dem Namen Baron Ludwig bekannte Apotheker Carl Ferdinand Heinrich von Ludwig. Der Württemberger hatte es in der kolonialen Gesellschaft Kapstadts zu beträchtlichem wirtschaftlichen und politischen Einfluss gebracht. Seine eigentliche Leidenschaft galt jedoch dem Botanisieren, was unter anderem dazu führte, dass er einen botanischen Garten aufbaute, der von immer mehr europäischen Gästen besucht wurde (Bradlow 1965). Für seinen Garten befand er sich ständig auf der Suche nach Pflanzen aus allen Teilen der Welt und mit diesem Ansinnen hatte er auch Wallich in Kalkutta kontaktiert. Ähnliche Kontaktaufnahmen erfolgten auch von den am Kap ansässigen deutschen Botanikern Carl Wilhelm Ludwig Pappe, einem Mediziner, sowie Karl Ludwig Philipp Zeyher und Christian Friedrich Ecklon, beides Apotheker. In diesen Fällen hatten zwei Schiffskapitäne, gewissermaßen als persönliche Verbindungsglieder auf der Route zwischen Kapstadt und Kalkutta, den Kontakt angebahnt. Im Austausch für südasiatische Pflanzen boten die deutschen Botaniker Wallich südafrikanische an. Der Däne Wallich besuchte sie später alle während seines Aufenthaltes in Kapstadt und es fand ein reger Austausch mit Umverteilungen beispielsweise nach Indien, England oder Deutschland statt. Kapstadt diente dabei als zentraler Knotenpunkt für Kommunikation.
Es fällt auf, dass in den Briefwechseln Wallichs mit den Missionaren der Kapkolonie keinerlei botanische Fragen behandelt werden. Das ist ein deutlicher Unterschied zur Korrespondenz mit Missionaren in Südasien, die sich eifrig als Sammler und zum Teil als Forscher betätigten und schon aus diesem Grunde den Kontakt zu Wallich und anderen Naturforschern suchten. Der Herrnhuter Benjamin Heyne gehörte genauso dazu wie Bernhard Schmid und andere. Zu nennen sind daneben einige deutsche Missionare der seit 1706 in und um Tranquebar missionierenden Dänisch-Englisch-Halleschen Mission wie Christoph Samuel John, Johann Gottfried Klein oder Johann Peter Rottler, die bereits mit Wallichs Vorgänger William Roxburgh in Kalkutta bekannt waren (Robinson 2008). Teile ihrer Indiensammlungen vergab Wallich später in Europa auch an deutsche Botaniker zur weiteren Auswertung. Mit Abstand am Bedeutsamsten blieben jedoch die britischen Baptisten aus Serampore, die im Unterschied zu den südindischen Missionaren allein schon geographisch sehr viel mehr Nähe zu Wallich und dessen Familie besaßen. Die überalterte Dänisch-Englisch-Hallesche Mission befand sich bereits im Niedergang, die Herrnhuter Brüdergemeinde hatte sich bei Ankunft Wallichs schon aus Bengalen und dann bald überhaupt aus Indien verabschiedet. Für die verbliebenen, häufig eher prekär lebenden Missionare waren das Sammeln und der Verkauf von Pflanzen manchmal ein erfolgsversprechendes Geschäftsmodell. Solches galt zum Beispiel für Schmid, der, nachdem die Church Mission Society ihn 1845 nicht mehr unterstützen konnte, in den Nilgiribergen beabsichtigte einen eigenen Botanischen Garten anzulegen, um von dort Pflanzen der ganzen Welt nach England zu verkaufen. Die Missionszentralen in Europa hießen solcherlei Aktivitӓten nicht immer gut. Dennoch waren vergleichsweise viele Missionare an Naturforschungen beteiligt, neben den bisher schon genannten Gruppen beispielsweise auch aus der Basler Mission.
Die mit Wallich in Kontakt stehenden Militärs gehörten zumeist der britischen Armee an. Die militärisch orientierten Indienreisenden Leopold von Orlich oder Werner Friedrich Hoffmeister, der den Prinzen Waldemar von Preußen bei dessen Indienreise begleitete, erwähnen in ihren publizierten Reisebeschreibungen kurz auch den Botanischen Garten in Kalkutta, das dortige Museum oder auch Wallich (Orlich 1845, Hoffmeister 1847, Oriola 1853). Von ihnen finden sich aber keine Briefe in der Korrespondenz Wallichs. Von Orlich wird lediglich indirekt erwähnt. Sie beschäftigten sich häufig mit ökonomischen Themen wie etwa dem Opiumanbau in Patna. Hoffmeister und von Orlich standen auch in Kontakt mit Alexander von Humboldt. Ersterer verfasste Abhandlungen über in Indien gesammelte Pflanzen und Vegetationszonen und nahm eigene Messungen vor. Sein Indienherbarium schickte er zur Auswertung an Johann Friedrich Klotzsch, den Kustos des Botanischen Gartens in Berlin (Hoffmeister 1846, Klotzsch, Garcke 1862).
Weit bedeutsamer aber waren deutsche Forschungsreisende, die allerdings nur selten die Erlaubnis der EIC erhielten in Indien zu forschen. Rivalitäten spielten dabei durchaus eine Rolle, wobei es von Botanikerseite auch Aufforderungen gab, die Deutschen stärker einzubeziehen. Mehr zufällig war Wallichs Begegnung mit dem aus Berlin stammenden Neffen des Botanikers Rudolph Amandus Philippi, Carl Theodor. Letzterer wurde während einer eigenen Südostasienreise zu einem kurzzeitigen Teilnehmer der dänischen Galathea-Expedition, die 1845 bis 1847 die Welt umrundete, einige Untersuchungen auf den Nikobaren vornahm und dabei unter anderem auch Kalkutta besuchte. Philippi sammelte einige Mollusken, die später von seinem Onkel beschrieben wurden (Kabat, Coan 2017). Von Wallich erhielt Carl Theodor in Kalkutta auch Samen und Pflanzen, die er weiter nach Berlin schickte, wo sie unter anderem von Alexander von Humboldt und einigen Politikern an verschiedene Botaniker weiter verteilt wurden (Krieger 2017b). Preußisch-koloniale Interessen deuten sich hier ebenfalls an, sendete Philippi doch auch verschiedene Proben von Edelmetallen nach Berlin. Der Kapitän der Galathea, Steen Bille, zeigte sich interessiert am Urteil Philippis über eine mögliche „Urbarmachung“ der Nikobaren durch die Dänen (Bille 1852, 169). Intensiver gestalteten sich Wallichs Kontakte zu dem Böhmen Johann Wilhelm Helfer und seiner Frau Pauline. Helfer hatte unter anderem 1836 an der Euphrat-Expedition Colonel Chesneys teilgenommen, war dann weiter nach Indien gereist, wo er versuchte über Vorträge auf bestimmte Themen aufmerksam zu machen und so Forschungsaufträge einzuwerben. Vordergründig betonte er dabei – ganz im Sinne der EIC – merkantile Interessen, hintergründig ging es ihm aber auch um die Naturforschung (Nostiz 2004). Wallich wurde zu einem entscheidenden Türöffner für eine von der EIC finanzierte Expedition nach Tenasserim, für die Helfer Empfehlungsschreiben und Instruktionen von dem Botaniker erhielten. Umgekehrt unterrichtete der Forschungsreisende Wallich per Brief über Schwierigkeiten und Ergebnisse seiner Reise, wobei er immer versuchte allen Förderern gerecht zu werden, indem er Wallich gegenüber besonders seine botanischen Interessen betonte, sich aber hauptsächlich mit Fragen der Rohstoffsuche (Holz, Steinkohle etc.) für die Briten beschäftigte.
Der deutschsprachige Raum
Der Briefverkehr Wallichs mit Personen im deutschsprachigen Raum fand vornehmlich während seines Europaaufenthaltes zwischen 1828 und 1832 statt, was freilich mit der großzügigen Verteilung seiner aus Indien mitgebrachten Pflanzensammlungen zusammenhing. Zuvor finden sich nur wenige solche direkten Kontakte, anschließend bestanden einige noch länger fort, entwickelten sich geradezu zu Freundschaften. Der Botaniker Johann Georg Christian Lehmann, seines Zeichens Professor für Naturgeschichte und Begründer des Hamburger Botanischen Gartens, und der Berliner Botanikprofessor Karl Sigismund Kunth besuchten Wallich gar in London, um sich persönlich ein Bild von den indischen Herbarien machen zu können, und lernten dabei auch dessen Familie kennen. Andere Botaniker wie der Bonner und Breslauer Christian Gottfried Daniel Nees von Esenbeck, von 1818 bis 1858 Direktor der Leopoldina, oder der Münchner Carl Friedrich Philipp von Martius bedauerten sehr, dies nicht geschafft zu haben, standen aber dennoch in guter Verbindung zu Wallich, auch als dieser nach Indien zurückgekehrt war. Dementsprechend behandeln die überlieferten Briefwechsel nicht allein fachliche Themen, sondern tangieren beispielsweise auch familiäre, gesundheitliche oder auch politische Bereiche. Nicht unbedeutende Aspekte betrafen auch Konkurrenz und Karriere. So berichtete man durchaus über vermeintlich ungerechtfertigte Ämterbesetzungen, Rivalitäten und sonstige Skandale in den Universitäten und botanischen Gärten oder versuchte eigene Schüler oder sonstige Bekannte bei Wallich in Indien unterzubringen. Die Beziehungen beruhten auch auf dem Prinzip Leistung – Gegenleistung. Dazu gehörten Erwartungen gegenseitiger Zitationen, von Pflanzensendungen, der Aufnahme in Wissenschaftsgesellschaften, von positiven Rezensionen und Vorworten, von Übersetzungen, Subskriptionen und die Benennung von Pflanzen nach dem jeweiligen Forscher. Lobbyarbeit im jeweils anderen Land gehörte ebenfalls dazu, stieg doch gerade in den 1830er Jahren der Druck auf die britischen Botaniker sich stärker der Wirtschaft und der Nützlichkeit zu widmen (Drayton 2000).
Die institutionelle Dimension betraf demnach nicht allein die Mitgliedschaft in Gelehrtengesellschaften, sondern auch Dankesschreiben von oder an staatliche Institutionen. Von Martius ließ den Direktoren der EIC auf Anraten von und weitergeleitet über Wallich einen Dankesbrief sowie seine schriftliche Arbeit für die Bibliothek der EIC am Botanischen Garten von Kalkutta zukommen. Auf der Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Hamburg 1830 beschloss die Botanische Sektion dem Bestreben Lehmanns zu folgen, aus Dankbarkeit je ein gemeinschaftliches Dankesschreiben an die EIC, an Wallich und an den König von England zu schicken. Darüber hinaus waren die Schreiben verbunden mit der Bitte, Wallich zu erlauben noch länger in Europa bleiben zu können, um die Herausgabe seines Werkes besser organisieren zu können. Andere offizielle Institutionen waren ebenfalls in den wissenschaftlichen Austausch eingebunden. So ließ der preußische Kultusminister Karl vom Stein zum Altenstein 1837 Wallich in Kalkutta und Robert Wight in Madras für die dem Neu-Schöneberger Herbarium zur Verfügung gestellten Kollektionen über den Direktor Heinrich Friedrich Link, den Poeten und Naturforscher Adelbert von Chamisso und den Kustos Johann Friedrich Klotzsch seinen ins Englische übersetzten Dank ausrichten.
Indirekte Verbindungen zu einzelnen Botanikern ergaben sich ebenfalls. Als etwa Bernhard Schmid aus Indien zurückkehrte, besuchte er den Botanikprofessor Jonathan Carl Zenker in Jena, dem er seine in Indien gesammelten Pflanzen zur Beschreibung und Illustration übergeben und der in Jena eine Indienabteilung im Botanischen Garten aufgebaut hatte. Von diesem Treffen schrieb er Wallich ausführlich. Um die schnellste und günstigste Verbindung für den Pflanzen- oder Literaturversand nutzen zu können, griffen die Botaniker überdies häufig zwecks Weiterleitung eines Paketes auf ihre Kollegen zurück. Nees von Esenbeck bat Wallich beispielsweise ihm doch durch den Hamburger Lehmann Texte in Breslau zukommen zu lassen, während Wallich auch häufiger Pflanzen an britische Kollegen weiterleiten musste oder Lehmann die Vermittlung von bzw. nach Südafrika und von dort weiter nach Indien übernahm. Auf diese Weise teilte man auch Informationen über die Botanikerkollegen, egal ob man sich persönlich kannte oder nicht.
Archive und Bestände
Eine frei zugängliche Datenbank mit Informationen zu ca. 5000 Briefen verschiedenster Provenienz von und an Wallich bietet der Lehrstuhl für die Geschichte Nordeuropas der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Eingepflegt wurden Verfasser, Adressat, Ort und Datum, wenn verfügbar, bei den wichtigsten Personen biographische Daten sowie das jeweilige Archiv. In Ergänzung zu den Wallich-Archivalien, ist es sinnvoll, zu dem Thema die Nachlässe und Autographensammlungen weiterer deutscher Archive zu sichten. Viele Materialien sind über den Kalliope-Verbund online erschließbar. Im Falle der Berliner Bestände Adelbert von Chamissos oder Alexander von Humboldts sind die meisten Dokumente sogar online einsehbar. Humboldt selbst taucht selten in den Wallich-Beständen auf, scheint aber häufiger botanisches Material und Informationen von Wallich erhalten zu haben und war überhaupt sehr an Indien interessiert, was sich in der Förderung verschiedener Indienreisender, wie von Orlichs oder der Gebrüder Schlagintweit, niederschlug. Eine eigene Indienreise kam wohl aufgrund des Widerstandes der EIC nicht zustande.
Viele Bestände in der Staatsbibliothek zu Berlin sowie die Bestände anderer Berliner Archive sind nicht online verfügbar und auch nicht immer in Kalliope verzeichnet. Nicht digitalisiert sind etwa die Briefe des Botanikprofessors Kunth. Sie finden sich, genauso wie diejenigen Klotzschs, in der Staatsbibliothek zu Berlin in der Sammlung von Ludwig Darmstaedter und sind durch Kalliope erschlossen (Slg. Darmstaedter / L Naturwissenschaften / Lb Botanik: Kunth, Karl Sigismund).
Interessant ist überdies der Bestand des Zoologischen Museums im heutigen Museum für Naturkunde in Berlin (Historische Arbeitsstelle). Der nach Namen sortierte Bestand (Zool. Mus.) enthält zwar keine Briefe Wallichs, jedoch zum Beispiel einige Archivalien über die Expedition Johann Wilhelm Helfers nach Tenasserim und die Rolle A. v. Humboldts dabei. Ähnliches gilt für Leopold von Orlich und seine späteren Versuche als Vermittler für den naturkundlichen Austausch zwischen Berlin und Indien zu dienen oder die von Werner Hoffmeister mitgebrachten Naturalien. Im Berliner Botanischen Garten sind die meisten Archivalien leider im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen. Dementsprechend findet sich dort nichts mehr über Wallich.
Von besonderem Interesse ist die umfangreiche Sammlung Rudolph Benno von Römers in Leipzig. Er war mit dem Botanikprofessor Gustav Kunze befreundet, seit seinem Studium bei Kunze an der Botanik interessiert und ein bedeutender Sammler. Seine gesammelten Bücher zur Botanik wie auch sein umfangreiches Herbarium vermachte er testamentarisch der Universitätsbibliothek Leipzig, wo die Bestände heute einsehbar sind (UB Leipzig, Slg. Römer/NL 133). Der Nachlass Kunzes befindet sich ebenfalls dort (UB Leipzig, Nachlass Gustav Kunze Ms.0352) und enthält neben einigen Briefen über Wallichs Indiensammlung auch Korrespondenzen mit den Botanikern der Kapkolonie, die zum Teil Schüler Kunzes waren, mit Professorenkollegen und mit Bernhard Schmid. Die Briefe sind in Kalliope verzeichnet. Gleiches gilt für die umfangreiche Korrespondenz des Münchner Botanikers von Martius, die in der Bayerischen Staatsbibliothek in München lagert (BSB Martiusiana II A) und, verglichen mit den anderen deutschen Professoren, das meiste Quellenmaterial zu Wallich und Indien enthält.
Eine Übersicht über die Bestände des Hamburger Botanikers Lehmann findet sich auf der Website der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg (http://www.sub.uni-hamburg.de/sammlungen/nachlass-und-autographensammlung/nachlaesse-und-autographen-von-a‑z.html#c6563), die Teile des Nachlasses verwahrt (Nachlass Johann Georg Christian Lehmann, 1 Archivkasten, 1 Bd. NL Lehmann, Briefe an Lehmann (Thes. ep.: 4° : 65) und Diplome (Bd.); Adressat Briefe NJGL: B; Verfasser Brief LA (Literaturarchiv): Lehmann, Johann Georg Christian). Neben seinen Wallich-Briefen sind auch seine brieflichen Kontakte nach Südafrika und seine Vermittlungstätigkeiten von großem Interesse.
Die Briefe des Indienmissionars Bernhard Schmid verteilen sich wiederum auf verschiedene Archive und Bibliotheken. Sie finden sich im online gut erschlossenen Missionsarchiv der Franckeschen Stiftungen zu Halle (AFSt/M), wo auch anderen Missionaren wie John, Klein oder Rottler nachzugehen ist, wie auch in der Universitätsbibliothek Heidelberg sowie verstreut in Nürnberg oder Dresden oder im Nachlass Kunzes in Leipzig. Gerade die Missionare geben gute Einblicke in die konkrete Praxis des Sammelns von Pflanzen vor Ort in Indien, in dabei auftretende Schwierigkeiten, in die Wege und den Vertrieb der Kollektionen. Interessant sind auch die Bestände der Leopoldina in Halle rund um ihren Präsidenten Nees von Esenbeck, der enge Kontakte zu Wallich und anderen Botanikern unterhielt.
Quellen und Literatur
Gedruckte Quellen
Bille, Stehen, Bericht über die Reise der Corvette Galathea um die Welt in den Jahren 1845, 46 und 47. Aus dem Dänischen übersetzt, und theilweise bearbeitet von W. v. Rosen, 1. Bd. Kopenhagen, Leipzig: 1852.
Chamisso, Adelbert von, Reise um die Welt. 2 Bde. Leipzig: 1836.
Hoffmeister, Adolph (Hg.), Briefe aus Indien, von W. Hoffmeister, Arzt im Gefolge Sr. Königl. Hoheit des Prinzen Waldemar von Preussen; nach dessen nachgelassenen Briefen u. Tagebüchern. Mit einer Vorrede von C. Ritter und sieben topographischen Karten. Braunschweig: 1847.
Hoffmeister, Werner, “Ueber die Verbreitung der Coniferen am Himalayah, aus einem Schreiben des Dr. W. Hoffmeister an Hrn. v. Humboldt”. Botanische Zeitung 4 (1846), S. 177–185.
Klotzsch, Friedrich und August Garcke, Die botanischen Ergebnisse der Reise seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Waldemar von Preußen in den Jahren 1845 und 1846 durch Werner Hoffmeister auf Ceylon, dem Himalaya und an den Grenzen von Tibet gesammelte Pflanzen. 2 Bde. Berlin: 1862.
Nostiz, Gräfin Pauline, Johann Wilhelm Helfer’s Reisen in Vorderasien und Indien. Berlin: 2004 (zuerst Leipzig: 1873).
Oriola, Eduard von und Heinrich Mahlmann, Zur Erinnerung an die Reise des Prinzen Waldemar von Preußen nach Indien in den Jahren 1844–1846. Die Illustrationen ausgeführt nach Reiseskizzen des Prinzen von Ferdinand Bellermann und Hermann Kretzschmer. 2 Bde. Berlin: 1853.
Orlich, Leopold von, Reise in Ostindien, in Briefen an Alexander von Humboldt und Carl Ritter. 2 Bde. Leipzig: 1845.
Wallich, Nathaniel, Plantae Asiaticae rariores, or, Descriptions and figures of a select number of unpublished East Indian plants. 3 Vols. London: 1830–32.
Sekundärliteratur
Arnold, David, “Plant Capitalism and Company Science. The Indian Career of Nathaniel Wallich”. Modern Asian Studies 42: 5 (2008) pp. 899–928.
Bradlow, Frank R., Baron von Ludwig and the Ludwig’s‑Burg Garden. A Chronicle of the Cape from 1806 to 1848. Cape Town: 1965.
Drayton, Richard, Nature’s Government. Science, Imperial Britain, and the ‚Improvement‘ of the World. New Haven: 2000.
Harrison, Mark, “The Calcutta Botanic Garden and the Wider World, 1817–46”. In Uma Das Gupta (Hg.): Science and Modern India: An Institutional History, c.1784–1947. Delhi: 2011, pp. 235–255.
Kabat, Alan R. und Eugene Victor Coan, “The Life and Work of Rudolph Amandus Philippi (1808–1904)”. Malacologia 60:1–2 (2017), pp. 1–30.
Krieger, Martin, Nathaniel Wallich. Ein Botaniker zwischen Kopenhagen und Kalkutta. Hamburg-Kiel: 2017.
Krieger, Martin, “Die ‚Galathea‘ in Kalkutta. Naturforschung und koloniale Macht”. In Oliver Auge, Martin Göllnitz (Hg.), Mit Forscherdrang und Abenteuerlust. Expeditionen und Forschungsreisen Kieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Frankfurt am Main: 2017, pp. 23–36.
Krieger, Martin, “Nathaniel Wallichs karriere i Serampore og Calcutta 1808–1815”. Personalhistorisk Tidsskrift 2014, pp. 69–86.
Robinson, Tim, William Roxburgh. The Founding Father of Indian Botany. Chichester: 2008.
Tobias Delfs, IAAW, Humboldt-Universität zu Berlin
MIDA Archival Reflexicon
Editors: Anandita Bajpai, Heike Liebau
Layout: Monja Hofmann, Nico Putz
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ISSN 2628–5029