Von Michael Mann
Veröffentlicht 2018
DOI 10.25360/01–2022-00014
Foto: Dietrich Brandis.
Dieser MIDA Archival Reflexicon Eintrag wurde im Jahr 2020 von Rekha Rajan ins Englische übersetzt und ist nun zusätzlich unter dem Titel „Dietrich Brandis (1824–1907) – Botanist and Founder of the Science of Tropical Forestry“ vorhanden.
Inhaltsverzeichnis
Biografische und wissenschaftliche Hintergründe | Inspector General of Forests | Forstwissenschaft und Forstbetrieb in Britisch-Indien | Archivbestände | Endnoten | Bibliografische Auswahl zu Leben und Werk von Dietrich Brandis
Vielen Forstwissenschaftlern und manch einem Förster ist Dietrich Brandis bekannt als der Begründer der tropischen Forstwirtschaft. Von 1856 bis 1883 war er in Britisch-Indien und erkundete dort zunächst die Teakwälder Burmas, um dann ab 1865 bis zu seinem Ausscheiden aus dem Staatsdienst als Inspector General of Forests in British India das dortige Forstwesen zu etablieren. Aber Brandis ist aufgrund seiner Expertise und seines Wirkens im Rahmen des Britischen Empires auch in Canada und Australien sowie darüber hinaus in den Vereinigten Staaten von Amerika bekannt, wo seine Erkenntnisse und sein Rat entscheidend zum Aufbau dortiger Forstwirtschaft beitrugen. Weniger bekannt ist, dass Brandis als Botaniker ausgebildet war, und dass er Zeit seines Lebens seinen botanischen Interessen nachging. Das Herbarium Brandis, 1907 vom Hamburger Senat angekauft und im Institut für Pflanzenwissenschaft und Mikrobiologie der Universität Hamburg integriert, legt beredtes Zeugnis davon ab.
Biografische und wissenschaftliche Hintergründe
Dietrich Brandis entstammte einem akademischen Elternhaus, das eingebettet war in ein weitverzweigtes familiäres und freundschaftliches Netz von Wissenschaftlern, die in Athen, Berlin, Kiel, Kopenhagen und Göttingen lebten oder/und lehrten. Brandis, der sich als Jugendlicher und als Student an diesen Orten aufhielt, gewann hier sein breites Interesse an Botanik, die jedoch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch nicht als separate Fachdisziplin etabliert war, sondern mit affinen Fächern wie Geografie, Geologie und Medizin kombiniert wurde. Abgesehen davon besuchte Brandis Vorlesungen zur Klassischen Philologie, Alten Philosophie, Geschichte, Physik sowie zur Evangelischen Theologie. Als Botaniker begann Brandis 1849 an der Universität Bonn zu arbeiten, an der er als Privatdozent für Pflanzenchemie bis 1855 angestellt war. Doch scheint die weitere Karriere aus unbekannten Gründen blockiert gewesen zu sein. 1855 ließ er über seine Frau Rachel, Schwester von Major-General Sir Henry Havelock, der in der britisch-indischen Armee diente, Kontakt zu diesem knüpfen mit der Bitte um eine Anstellung als Botaniker in oder in der Nähe von Kalkutta.
Binnen eines halben Jahres befanden sich die Eheleute Brandis in Britisch-Indien, wo Dietrich Brandis im Januar 1856 seine Stellung als Superintendent of Forests of the Province of Pegu (Lower Burma) antrat, zu der zwei Jahre später noch die Provinzen Tenasserim und Martaban am westlichen Rand der Malayischen Halbinsel hinzugefügt wurden. Hier entwickelte Brandis, in völliger Unkenntnis der lokalen Waldverhältnisse, eine Systematik zur Erfassung von Baumbeständen, die sogenannten „linear valuation surveys“ oder „strip surveys“ sowie das System des lokal praktizierten „girdling“ (Einritzen der Rinde um den Stamm, um die Nahrungsaufnahme zu unterbrechen) anhand von Alter und Stammumfang eines Baumes, um diesen dann auf dem Stamm bis zur Fällreife austrocknen zu lassen. Neben einer Klassifizierung von Waldarealen zur künftigen forstwirtschaftlichen Nutzung arbeitete Brandis Prinzipien einer systematischen Forstverwaltung aus. Diese sollte auf wissenschaftlichen Publikationen und jährlichen Berichten beruhen und von gut ausgebildetem wissenschaftlichen Personal ausgeübt werden.
Inspector General of Forests
Für das nächste Vierteljahrhundert sollte Brandis mit dem Aufbau der Forstwirtschaft in Britisch-Indien beschäftigt sein, deren Aufgabe es war, den immensen Holzbedarf des britischen Kolonialstaates für den subkontinentalen Eisenbahnbau und Export von Tropenhölzern sicherzustellen, allen voran von Teak, Deodar und Sal. Eine erste Forstgesetzgebung gab es 1865, nachdem Brandis genug Expertise in Burma gesammelt hatte und zum Inspector General of Forests ernannt worden war. Nun galt es, das Amt und eine dazu gehörende Abteilung (Forest Department) der Kolonialverwaltung aufzubauen sowie eine entsprechende gesetzliche Grundlage für künftiges Handeln einschließlich zu erwartender Rechtshändel zu schaffen. Das Gesetz regelte zunächst den Schutz von Wäldern und ihrer Nutzung, wobei existierende Rechtsverhältnisse einschließlich Gewohnheitsrechte respektiert wurden.
Mit dem Forest Act of 1878 fand die koloniale Forstgesetzgebung dann ihren Höhepunkt, ein Gesetz übrigens, das in seinen Grundzügen bis heute Gültigkeit hat. Eine an den damals fortschrittlichsten europäischen Forstverwaltungen der deutschsprachigen Länder und Frankreich ausgerichtete Gesetzgebung teilte die Wälder Britisch-Indiens in drei Zonen ein, den „protected“, „reserved“ und „village forests“ und regelte den Zugang der lokalen Bevölkerung vor allem zu letzteren. Mit einem Federstrich annullierte es dabei alle bestehenden Rechtsverhältnisse einschließlich der Gewohnheitsrechte und erklärte den Kolonialstaat zum alleinigen Eigentümer sämtlicher als solcher ausgewiesenen Waldflächen. Die Kolonialverwaltung hatte nämlich ein ureigenes Interesse daran, sich künftig den ungehinderten Zugang zu den natürlichen und infolgedessen auch den steuerlichen Ressourcen zu sichern. Dies unterschied sich zwar nicht wesentlich von den existierenden europäischen Forstgesetzen, in seiner Schärfe war das Gesetz jedoch einzigartig. Abgesehen davon hing dem Gesetz der Makel an, europäische Prinzipien der Forstbewirtschaftung in einen außereuropäischen Kontext verpflanzt zu haben, ohne lokale Konditionen angemessen zu berücksichtigen.
Dies war freilich nicht die Intention Brandis‘, denn in Mittel- und Westeuropa war die Wald- und Forstgesetzgebung bei weitem nicht so rigide. Zudem war er in Britisch-Indien auf die Kooperation der lokalen Bevölkerung angewiesen, sofern die Forstverwaltung unter silvikulturellen und fiskalischen Gesichtspunkten einträglich sein sollte. Immerhin gelang es Brandis, eine breitgefächerte Ausbildung des Forstpersonals zu gewährleisten, das in Botanik, Geografie, Geologie, Zoologie und Chemie unterwiesen werden sollte, was den holistischen Ansatz der Ausbildung anzeigt und zugleich auf die Funktion der Forstverwalter als Generalisten verweist, ein Ideal, das sich nach der Jahrhundertwende zugunsten von ökonomisch arbeitenden Spezialisten ändern sollte. Brandis konnte nach Rücksprache mit dem Indienministerium und dem Kolonialsekretariat in Indien zwei Forstbeamte aus Hessen und Hannover anwerben, die ihn bei seinen vielfältigen und kaum mehr zu bewältigenden Aufgaben unterstützen sollten: Wilhelm Schlich und Bertold Ribbentrop, die später auch Nachfolger von Brandis im Amt des Inspector General wurden.
Forstwissenschaft und Forstbetrieb in Britisch-Indien
Neben weiteren deutschen Forstwissenschaftlern bzw. Botanikern wie Sulpiz Kurz aus Augsburg fanden immer mehr Briten Anstellung im gehobenen Forstdienst Britisch-Indiens, darunter James Sykes Gamble und Dr. James L. Steward, die beide ganz wesentlich zur forstbotanischen Erschließung Südasiens beitrugen. Zur Ausbildung des einheimischen Personals richtete Brandis im Jahr, in dem der Forest Act erlassen wurde, in Dehra Dun die bis heute existierende Imperial Forest School ein. Unter seiner Leitung als Inspector General of Forests wurde bereits 1875 The Indian Forester ins Leben gerufen, eine Zeitschrift oder eher Magazin mit wissenschaftlichen Beiträgen, die sich an ein breites Lesepublikum richteten. Brandis publizierte regelmäßig im Indian Forester, insgesamt 35 Artikel, davon viele zur Forstverwaltung, zur Ausbildung von Forstpersonal sowie zu Teak und zu Bambus. Bekannt ist sein Beitrag zur Berechnung des Schwellenbedarfs für die britisch-indischen Eisenbahnlinien (The Indian Forester 4,4 (1879), pp. 365–85).
Neben seinen umfangreichen Tätigkeiten als oberster Forstadministrator, verbunden mit einer regen Publikationstätigkeit zu den laufenden Geschäften, war Brandis kaum in der Lage, seinen botanischen Interessen nachzugehen. Gelegentlich beschwerte er sich gegenüber Kollegen, dass er nicht dazu komme, Pflanzen zu sammeln, geschweige sie botanisch zu bestimmen. Allerdings legen seine beiden großen Bücher zur Flora in Britisch-Indien Zeugnis über seine intime Kenntnis der südasiatischen Flora und der Botanik ab. Zum einen handelt es sich um die Fertigstellung des von dem oben erwähnten Dr. Steward begonnenen Buches zur Forest Flora of North-West and Central India, das 1874 schließlich erschien. Innerhalb von zwei Jahren, in denen Brandis sich auf Heimaturlaub befand um seine angeschlagene Gesundheit zu kurieren, stellte er das Werk fertig, das von allen Seiten wegen seiner Gründlichkeit in Bezug auf Flora, Fauna, Klima und Geografie gelobt wurde. Reputation hatte er bereits mit seinem 1871 publizierten Artikel zu „Rainfall and Forest Trees in India“ erlangt, in dem er den Zusammenhang zwischen der geografischen Distribution von Bäumen und den klimatischen Konditionen einer Region betont und dies in einer für lange Zeit unübertroffenen Karte dargestellt hatte (Ocean Highways 4 (1872), S. 200–206. Reprinted in Transactions of the Scottish Arboricultural Society 7 (1873), S. 88–113 und The Indian Forester 9 (1883, S. 173–83 und 221–33).
Unübertroffen blieb auch Brandis‘ magnum opus Indian Trees, das ein Jahr vor seinem Tod erschien (1906). Mindestens acht Jahre verbrachte Brandis mit der Sammlung und Verarbeitung von gesammelten und bereitgestellten Materialien. Indian Trees deckt über 4400 Arten von Bäumen, Büschen, Schling- und Kletterpflanzen, Bambussen und Palmen des indischen Subkontinents samt den Andamanen und Nikobaren mit den korrekten botanischen Namen, Synonymen, umgangssprachlichen Bezeichnungen, botanischen Beschreibungen sowie verwandter Flora ab. Insgesamt stellt das Werk ein Monument wissenschaftlich-botanischer Akribie und penibler Arbeit dar, das Dietrich Brandis als einen eminenten Botaniker etabliert, auch wenn dies weder zu seinen Lebzeiten noch bis in die Gegenwart hinein geschah. Hier wird eine weitere Beschäftigung mit Archivmaterialien sowie mit dem von Brandis selbst publizierten Beiträgen zu einem neuen Verständnis der Person und Botanikers Brandis beitragen.
Archivbestände
Der Jahresbericht des Hamburgischen Botanischen Staatsinstitutes erwähnte 1908 unter der Rubrik “käufliche Erwerbungen”, dass der Senat der Stadt Hamburg die umfängliche botanische Sammlung von Dietrich Brandis erworben hat. Nichts ist jedoch bekannt darüber, warum gerade der Hamburger Senat das Herbarium Brandis kaufte und warum keine andere europäische botanische Institution von Rang an diesem interessiert war. Offensichtlich war Brandis schon zu Lebzeiten nur als Forstwissenschaftler bekannt und berühmt, weshalb seine umfassenden botanischen Aktivitäten samt Publikationen offensichtlich schnell in Vergessenheit gerieten.[1] Dass Brandis ein begnadeter und eifriger Botaniker war, zeigt sich an der Art und Weise, wie er die 19.000 Blätter in seinem Herbarium anlegte und systematisierte, denn sie konnten ohne weiteres in das Herbarium des Hamburgischen Botanischen Staatsinstitutes integriert werden. Dies mag auch ein Grund sein, warum die Blätter nicht einzeln gelistet wurden. Bereits 1911 war der gesamte Bestand nach Arten sortiert inkorporiert.[2]
Wenig ist bekannt über das weitere Schicksal des Herbarium Brandis. Nach der Gründung des Instituts für Angewandte Botanik im Jahr 1913 wurde Brandis‘ Holzsammlung dorthin verbracht. Das im selben Jahr gegründete Institut für Allgemeine Botanik übernahm nicht nur den Botanischen Garten, sondern auch das Herbarium des Hamburger Botanischen Museums. Teile der umfangreichen und sperrigen Holzsammlungen befinden sich in der Xylothek des Thünen-Instituts, das mit dem Institut für Holzwissenschaften der Universität Hamburg assoziiert ist. Im Jahr 2012 ist das Institut für Allgemeine und Angewandte Botanik zusammengelegt worden mit dem Biozentrum Klein Flottbek. Weitere Informationen zum Herbarium Brandis kann der gegenwärtige Oberkustos des Herbarium Hamburgense, Dr. Matthias Schultz (matthias.schultz@uni-hamburg.de) geben.
Endnoten
[1] Hamburgische Botanische Staatsinstitute. Jahresberichte 1908. Aus dem Jahrbuch der Hamburgischen Wissenschaftlichen Anstalten 26 (1909), S. 10.
[2] Hamburgische Botanische Staatsinstitute. Jahresberichte 1910. Aus dem Jahrbuch der Hamburgischen Wissenschaftlichen Anstalten 28 (1911), S. 8.
Bibliografische Auswahl zu Leben und Werk von Dietrich Brandis
Guha, Ramachandra, “An Early Environmental Debate: The Making of the 1878 Forest Act”. Indian Economic and Social History Review 27, 1 (1990): pp. 65–84.
Hölzl, Richard, „Der ‚deutsche Wald‘ als Produkt eines transnationalen Wissentransfers? Forstreform in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert“. discussions 7 (2012), 29 pp. http://www.perspectivia.net/publikationen/discussions/7–2012/hoelzl_wald. (Letzter Zugriff am: 10.10.2017).
Hesmer, Herbert, Leben und Werk von Dietrich Brandis 1824–1907. Begründer der tropischen Forstwirtschaft, Begründer der forstlichen Entwicklung in den USA, Botaniker und Ökologe. Abhandlungen der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften: 58. Opladen: Westdeutscher Verlag, 1975.
Negi, S.S., Sir Dietrich Brandis: Father of Tropical Forestry. Dehra Dun: Bishen Sing Mahendra Pal Singh, 1991.
Prain, David, revised by Mahesh Rangarajan, “Brandis, Sir Dietrich (1824–1907)”. Oxford National Biography (1915, online edn 2004). Oxford University Press. doi:10.1093/ref:odnb/32045
Rajan, Ravi, “Imperial Environtalism or Environmental Imperialism? European Forestry, Colonial Foresters and Agendas of Forest Management in British India, 1800–1900”. In: Richard H. Grove, Vinita Damodaran, Satpal Sangwan (eds.) Nature and the Orient. The Environmental History of South and Southeast Asia. Delhi: Oxford University Press, 1998, pp. 324–371.
Rawat, Ajay S., “Brandis: The Father of Organized Forestry in India”. In: Ibid. (ed.) Indian Forestry: A Perspective. New Delhi: Indus Publishing Company, 1993, pp. 85–101.
Saldanha, Indra Munshi, “Colonialism and Professionalism: A German Forester in India”. Environment and History 2, 2 (1996): pp. 195–219.
Brandis, D., Forest Flora of North-West and Central India, A Handbook of the Indigenous Trees and Shrubs of those Countries. Commenced by the late J.L. Steward, continued and completed by D. Brandis. Prepared at the Herbarium of the Royal Gardens, Kew. Published under the Authority of the Secretary of State for India in Council. London: Wm H. Allen & Company, 1874.
Brandis, D., Indian Trees. An Account of Trees, Shrubs, Woody Climbers, Bamboos and Palms Indigenous or Commonly Cultivated in the British Indian Empire. London: Archibald Constable & Co. Ltd, 1906.
Archivbestände
Herbarium Hamburgense, Institut für Pflanzenwissenschaft und Mikrobiologie, Universität Hamburg
German Letters 1858–1900, Archives, Royal Botanical Gardens, Kew
Zeitschrift
The Indian Forester
Michael Mann, IAAW, Humboldt-Universität zu Berlin
MIDA Archival Reflexicon
Editors: Anandita Bajpai, Heike Liebau
Layout: Monja Hofmann, Nico Putz
Host: ZMO, Kirchweg 33, 14129 Berlin
Contact: archival.reflexicon [at] zmo.de
ISSN 2628–5029