Von Alexander Benatar
Veröffentlicht 2018
DOI 10.25360/01–2022-00012
Foto: Herbert Fischer (1984). DDR-Indien: Ein Diplomat berichtet. Staatsverlag der DDR, Berlin. p. 78.
Dieser Artikel wurde im Jahr von Rekha Rajan ins Englische übersetzt und ist nun unter dem Titel „Herbert Fischer – An Entangled German Indian Biography“ als weiterer MIDA Archival Reflexicon Artikel vorhanden.
Inhaltsverzeichnis
Frühe Jahre | Bei Gandhi | In der DDR | Zurück in der DDR | Quellen | Literaturverzeichnis
Herbert Fischer war seit 1958 erst Mitarbeiter, dann Leiter der Handelsvertretung der Deutschen Demokratischen Republik in Neu-Delhi, später Generalkonsul und mit der staatlichen Anerkennung des Landes im Oktober 1972 der erste Botschafter der DDR in Indien.
Das Leben Herbert Fischers ist eng mit dem Entstehen des unabhängigen Indiens sowie der Entwicklung der DDR verwoben. Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte Fischer bereits ein Jahrzehnt in Indien verbracht, mit Gandhi gelebt und war während des Krieges als Deutscher von der Britischen Kolonialmacht in Indien interniert worden. Nach Kriegsende kehrte er nach Deutschland zurück in seine sächsische Heimat, die nun in der sowjetischen Besatzungszone lag und bald Teil der DDR werden sollte. Über Umwege gelangte er ins Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und avancierte dort bald zum Indienexperten der frühen DDR.
Frühe Jahre
Geboren 1914 im sächsischen Herrnhut, beschloss Herbert Fischer als junger Mann mit Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933, Deutschland zu verlassen. Er lebte damals mit einer Gruppe von Lebensreformern an der Ostsee. Dort traf er unter anderem auf Klaus Mann, den Sohn von Thomas Mann, der gerade von einer Reise in die Sowjetunion zurückgekehrt war und ihm desillusioniert seine Eindrücke vom dortigen Leben schilderte.
Schon früher hatte Fischer von Mohandas Gandhi, dem „Mahatma“, und dessen gewaltlosen Widerstand gegen die britische Kolonialherrschaft gehört. Der 19jährige Fischer war begeistert und beschloss, nach Indien zu fahren. Tatsächlich erreichte er nach einer abenteuerlichen Reise über Frankreich, Spanien, den Balkan und die Türkei, teilweise mit dem Fahrrad, 1936 den Hafen von Bombay. Er stieg in einen Zug nach Wardha, den ländlichen Ort in Zentralindien, an dem Gandhi seinen Aschram errichtet hatte; die Basis seiner landesweiten Arbeit, wo auch der Indische Nationalkongress seine Sitzungen abhielt.
Bei Gandhi
Herbert Fischer erlebte Gandhi dort täglich, kam persönlich mit ihm ins Gespräch und war fasziniert: „Eine solche Verehrung für einen lebenden Menschen hatte ich noch nie erlebt. Ich mußte unwillkürlich an ähnliche Geschichten aus dem Neuen Testament denken.“ Und:
„Gandhi blieb immer betont und bewußt bescheiden, hatte für alle Fragen, auch wenn sie nur Kleinigkeiten betrafen, ein offenes Ohr, war allen ein sorgender Vater, zeigte keinerlei Machtstreben. Gerade das machte ihn beliebt, gerade darauf beruhte seine Wirkung. Das konnte ich jeden Tag beobachten und selbst erfahren. Das machte ihn zum Bapu, zum Vater. Auch für mich war er Bapu. Ich empfand ihn als Vater. Einem amerikanischen Missionar, der ihn besucht hatte, erschien er wie eine Mischung aus Jesus Christus und dem eigenen Vater. Ich glaube noch heute, daß ich mich mit ihm tiefgehender unterhalten konnte als mit meinem eigenen Vater.“
So schrieb Herbert Fischer 2002, 65 Jahre später in seinen Erinnerungen Unterwegs zu GANDHI (S. 77f.).
Gemeinsam war Gandhi und Herbert Fischer ihr Pazifismus. 1937 wurde Fischer seine Jacke gestohlen, mitsamt seinem deutschen Pass. Als das deutsche Generalkonsulat in Bombay ihm mitteilte, man würde ihm den Pass nur dann ersetzen, wenn er nach Deutschland zurückkehrte, um seinen Militärdienst abzuleisten, lehnte Fischer ab und nahm damit seine Ausbürgerung in Kauf.
Gandhi beauftragte Fischer damit, im nahegelegenen Itarsi beim Aufbau landwirtschaftlicher Genossenschaften und bei der Leitung eines Krankenhauses zu helfen. Häufig erhielt er an diesem Eisenbahnknotenpunkt Besuch von Jawaharlal Nehru, dem späteren ersten Premierminister des unabhängigen Indien. Fischer wurde Mitglied einer örtlichen Quaker-Gemeinde und lernte seine spätere Frau kennen: Lucille Sibouy, eine in Jamaika geborene Krankenschwester mit indischen Wurzeln.
Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1939 wurde Herbert Fischer als Angehöriger eines Feindstaates von den britischen Kolonialherren interniert. Seine Frau folgte ihm mit ihrem ersten gemeinsamen Sohn Karl Anfang 1940. Gemeinsam mit anderen Deutschen waren sie in unterschiedlichen Lagern untergebracht, in denen Fischer mitunter gestattet wurde, Gandhi weiterhin zu besuchen.
In der DDR
Nach Kriegsende kehrte Herbert Fischer mit seiner Familie in die Heimat zurück, die nun in der sowjetischen Besatzungszone lag, der späteren DDR. Fischer hatte nach der Schule keine reguläre Ausbildung erhalten und Schwierigkeiten, im Nachkriegsdeutschland Fuß zu fassen. In der DDR fand er Anstellung zunächst als Lehrer, später in der Schulverwaltung. Durch Vorträge über seine Zeit mit Gandhi, die er in der Freizeit hielt, wurde das neu gegründete Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) der DDR auf ihn aufmerksam. Dort suchte man händeringend nach geeignetem Personal ohne nationalsozialistische Vergangenheit. Im September 1956 nahm Fischer seine Arbeit auf und leitete bald die Indienabteilung. Im Januar 1958 wurde er als stellvertretender Leiter der Handelsvertretung der DDR nach Indien versetzt.
Die Diplomaten der Bundesrepublik blickten argwöhnisch auf diese neue vermeintliche „Geheimwaffe“ aus Ost-Berlin. So hieß es im Oktober 1959 in einem Veranstaltungsbericht über „Sowjetzonale Propaganda in Indien zum 10-jährigen Bestehen der sog. ‚DDR‘“ an die Zentrale in Bonn:
„Dank der geschickten und einnehmenden Art von Herrn Fischer, der perfekt Hindi spricht und der jeden einzelnen Journalisten beim Eintreten mit Handschlag begrüsste, herrschte während der Veranstaltung eine freundliche Atmosphäre.“
Auf westdeutscher Seite fürchtete man also die landeskundliche Expertise Herbert Fischers und tatsächlich konnte er teilweise an alte Kontakte aus der Vorkriegszeit anknüpfen. Dies kam in Ost-Berlin jedoch nicht immer gut an. Als Herr Fischer und seine Frau etwa ihre alte Bekannte Rajkumari Amrit Kaur besuchten, die erste Gesundheitsministerin des unabhängigen Indiens, trafen sie dort zufällig auch auf einen amerikanischen Journalisten, der sehr schnell unangenehme Fragen zu stellen begann, unter anderem zu den Ereignissen vom 17. Juni 1953, die er selbst in Berlin erlebt hatte. Auf einen entsprechenden Bericht Fischers reagierte man im Berliner MfAA scharf:
„Ich erinnere daran, daß Kollege Schwab vor Ihrer Abreise ausdrücklich darauf hinwies, daß alte Bekanntschaften nicht erneuert werden sollen, bzw. erst nach vorheriger Prüfung.“
Nicht nur die westdeutsche Hallsteindoktrin legte der diplomatischen Arbeit Herbert Fischers also Handschellen an, sondern auch seine eigenen Vorgesetzten.
Im September 1962 kehrte Fischer mit seiner Familie nach Ost-Berlin zurück, um dort zunächst für ein Jahr die Parteihochschule der DDR zu besuchen und dann wiederum die Indienabteilung in der Zentrale des MfAA zu leiten. Im August 1965 wurde er erneut nach Indien versetzt, diesmal als Leiter der Handelsvertretung in Neu-Delhi.
Von seinem Nimbus hatte er in der Zwischenzeit nichts eingebüßt: „In Anbetracht der besonderen Landeskenntnis und politischen Erfahrung Fischers wird es nicht leicht sein, ihm von unserer Seite Persönlichkeiten entgegenzustellen, die über die gleichen Landeskenntnisse verfügen“, schrieb ein bundesrepublikanischer Diplomat im November 1965 in einem Bericht an die Bonner AA-Zentrale. Besonders wurden später immer wieder die guten Beziehungen Fischers zur indischen Premierministerin Indira Gandhi betont, aufgrund der Tatsache, dass die beiden sich zur selben Zeit in Gandhis Aschram aufgehalten hatten.
Für die Parteiführung der SED wiederum standen andere Dinge im Vordergrund, wie aus einem Bericht von Ende 1966 hervorgeht:
„In der Vertretung ist es Mode, daß viele Genossen den Leiter der Vertretung, Genossen Fischer, kritisieren. Die Kritik sieht so aus, daß alle erklären, daß er ein sehr guter Diplomat ist, der gute Arbeit gegenüber der indischen Seite leistet. Dann wird beanstandet, daß Genosse Fischer sich zu wenig um die einzelnen Genossen kümmert.“
Zurück in der DDR
Kaum war im Oktober 1972 unter großem persönlichen Einsatz Herbert Fischers das Ziel der Anerkennung der DDR durch Indien erreicht, zog das MfAA ihn aus seiner zweiten Heimat ab. Im Sommer 1974 ernannte man ihn zum Leiter des Antirassismus-Komitees der DDR, das rein repräsentative Aufgaben erfüllte. Desillusioniert gab er diesen Posten auf, um bis zum Eintritt ins Rentenalter als Mentor für indische Studenten an der SED-Parteihochschule zu arbeiten.
Auch später blieb er Indien treu und veröffentlichte Bücher, die er dort vorstellte. Im März 1999 verstarb nach langer Krankheit seine Frau Lucille. Im Mai 2003 erhielt Herbert Fischer vom amtierenden indischen Premierminister Atal Bihari Vajpayee den „Padma Bhushan“, den dritthöchsten zivilen Orden Indiens. Herbert Fischer starb am 3. Februar 2006 in Berlin.
Quellen
Die Recherche einer spannenden Biografie ist eine vergleichsweise dankbare historische Aufgabe. Einen spezifischen Namen zu suchen, stellt sich in der Regel als bedeutend einfacher dar als die Suche nach abstrakten Begriffen und Zusammenhängen, deren Darstellung erst durch die eigenen Gedanken einen logischen roten Faden erhält. Denn bei der Beschreibung eines Lebenslaufes besteht diese Herausforderung deutlich weniger. Zumal, wenn der Protagonist/die Protagonistin selbst einige Aufzeichnungen über sein/ihr Leben hinterlassen hat. Und Herbert Fischer war nicht nur ein Gandhianer und wichtiger DDR-Diplomat, sondern auch ein produktiver Autor.
Ausgangspunkt der Forschung zu Herbert Fischer sind also seine eigenen Veröffentlichungen, vor allem die Erinnerungen an seine Jugend und sein Exil in Indien Unterwegs zu GANDHI [Berlin, Lotos Verlag Roland Beer, 2002] sowie sein berufliches Wirken als Diplomat DDR – Indien. Ein Diplomat berichtet [Berlin (Ost): Staatsverlag der DDR, 1984]. Beide Werke bilden ein wichtiges Fundament für das Verfassen von Fischers Biografie und können durch die Einsicht von Primärquellen ergänzt und überprüft werden. So findet sich etwa im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts (PA AA) in den Beständen des Auswärtigen Amts des Deutschen Reiches unter der Signatur R 145638 eine Akte mit dem Titel “Nachforschungen nach Deutschen in Feindesland – Einzelfälle – Brit. Indien – Buchst. Fa – Fl”, die wiederum eine Eingabe von Herbert Fischers Vater enthält, der sich nach dem Verbleib seines Sohnes erkundigt.
Unverhoffte Erkenntnisse über Fischers Zeit im indischen Exil liefert darüber hinaus im indischen Nehru Memorial Museum and Library (NMML) das „Oral History Interview“ mit ihm, in dem die indische Historikerin Aparna Basu 1969 die persönlichen Eindrücke des Mitstreiters „Mahatma“ Gandhis einzufangen versuchte. Außerdem Marjorie Sykes‘ An Indian Tapestry: Quaker Threads in the History of India, Pakistan & Bangladesh from the Seventeenth Century to Independence [York: Sessions Book Trust, 1997] über die Rolle der Quakergemeinschaften im kolonialen Indien, das auch dem Ehepaar Fischer einige Seiten widmet.
Zwar enthält Johannes H. Voigts Die Indienpolitik der DDR – von den Anfängen bis zur Anerkennung (1952–1972) [Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag, 2008] einige wichtige Hinweise zu Herbert Fischers Rolle als DDR-Diplomat in Neu-Delhi, zur Erschließung von Fischers „Zweitem Leben“ in Indien wird eine umfangreiche Recherche in deutschen Archiven jedoch unumgänglich. Namentlich sind dies das Politische Archiv des Auswärtigen Amts in Berlin und das Bundesarchiv (BArch) mit seinen Standorten in Berlin und Koblenz.
Bis 1979 sind die Archivbestände des MfAA im PA AA thematisch nach dem Pertinenzprinzip geordnet. Korrespondenz zwischen der Ost-Berliner MfAA-Zentrale und der DDR-Vertretung in Neu-Delhi, die immer wieder auch Hinweise auf die Person Herbert Fischers gibt, findet sich im PA AA im Bestand „M1 – Zentralarchiv“. Aufschlussreich sind außerdem die Einschätzungen der „Gegenseite“. Das westdeutsche AA ordnete seine Archivalien von Anfang an herkunftsbezogen nach dem Provenienzprinzip. Die Akten des Länderreferats „IB 5 Süd- und Ostasien, Australien, Neuseeland und Ozeanien“ finden sich im Bestand B 37, sind jedoch vom PA AA noch nicht vollständig erschlossen. So befinden sich die Archivalien ab 1973 derzeit noch in einem Zwischenarchiv. Relevante Akten aus der bundesrepublikanischen Botschaft in Neu-Delhi finden sich außerdem im Bestand AV Neues Amt unter dem Kürzel NEWD.
Im Bundesarchiv wiederum sind die SED-Berichte über Herbert Fischers parteipolitische Arbeit in Neu-Delhi im Bestand DY 30 aufschlussreich sowie für die Rolle Fischers in der DDR nach seiner Abberufung als Botschafter in Indien der Nachlass von Fischers Freund und Arbeitskollegen Siegfried Forberger im Bestand N 2536/13. Forberger veröffentlichte nicht nur seine eigenen Erinnerungen Das DDR-Komitee für Menschenrechte: Erinnerungen an den Sozialismus-Versuch im 20. Jahrhundert; Einsichten und Irrtümer des Siegfried Forberger, Sekretär des DDR-Komitees für Menschenrechte von 1959 bis 1989 [Berlin: Selbstverlag, 2000/2007], sondern stand auch bis zu dessen Tod in Kontakt mit Herbert Fischer. In Forbergers Nachlass finden sich etliche Briefe und Postkarten, die die beiden auch nach der Jahrtausendwende austauschten sowie Herbert Fischers Todesanzeige aus dem Jahre 2006. Diese zählt neben den Namen seiner Familienangehörigen auch noch einmal seine wichtigsten biografischen Stationen auf. Von Herbert Fischer selbst existiert dort bislang kein Nachlass.
Literaturverzeichnis
Fischer, Herbert, Unterwegs zu GANDHI. Berlin: Lotos Verlag Roland Beer, 2002.
——–, DDR – Indien. Ein Diplomat berichtet. Berlin (Ost): Staatsverlag der DDR, 1984.
Forberger, Siegfried, Das DDR-Komitee für Menschenrechte: Erinnerungen an den Sozialismus-Versuch im 20. Jahrhundert; Einsichten und Irrtümer des Siegfried Forberger, Sekretär des DDR-Komitees für Menschenrechte von 1959 bis 1989. Berlin: Selbstverlag, 2000/2007.
Sykes, Marjorie, An Indian Tapestry: Quaker Threads in the History of India, Pakistan & Bangladesh from the Seventeenth Century to Independence. York: Sessions Book Trust, 1997.
Voigt, Johannes H., Die Indienpolitik der DDR – von den Anfängen bis zur Anerkennung (1952–1972). Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag, 2008.
Alexander Benatar, IAAW, Humboldt-Universität zu Berlin
MIDA Archival Reflexicon
Editors: Anandita Bajpai, Heike Liebau
Layout: Monja Hofmann, Nico Putz
Host: ZMO, Kirchweg 33, 14129 Berlin
Contact: archival.reflexicon [at] zmo.de
ISSN 2628–5029