Von Martin Christof-Füchsle
Veröffentlicht 2018
DOI 10.25360/01–2022-00013
Foto: The East India Company’s European Regiment at the Battle of Cuddalore, 1 July 1783.
Inhaltsverzeichnis
Historischer Hintergrund | Quellen | Bewertung der Quellen | Archive | Gedruckte Quellen | Sekundärliteratur
Die Mysore-Kriege fanden im Zeitraum von 1766–1799 in Südindien statt, wobei sich die britische East India Company (EIC) und das Königreich von Mysore gegenüber standen und die Franzosen zeitweise an der Seite Hyder Alis (ca. 1720–1782) bzw. Tipu Sultans (1750–1799), der Herrscher von Mysore, kämpften, und die Marathen sowie der Nizam von Hyderabad in wechselnden Allianzen mit den Briten oder Mysore begriffen waren.
Mysore war einer der mächtigsten indischen Staaten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Er hatte sich unter der hinduistischen Wodeyar-Dynastie als einer der Nachfolgestaaten des Reiches von Vijayanagara entwickelt. Hyder Ali, ein muslimischer Militärführer aus Delhi, wurde 1761 zum Heerführer Mysores und entwickelte sich zum De-facto-Herrscher desselben. Durch eine Zentralisierung des Staates und ein hohes Steueraufkommen war es ihm möglich, eine der professionellsten Armeen Indiens aufzustellen und dann seinen Herrschaftsbereich bedeutend zu erweitern – was ihn zu einem potentiellen Rivalen der selbst expandierenden East India Company im Süden Indiens machte (vgl. für das folgende auch: Roy 2011: 70–94).
Nachdem in den ersten beiden Mysore-Kriegen (1767–69 bzw. 1780–84) nach wechselndem Kriegsglück am Ende jeweils Hyder Ali bzw. sein Sohn Tipu Sultan in der besseren Position waren und es in den Friedensverträgen bezüglich der territorialen Grenzen jeweils zu einer Rückkehr zum status quo ante kam, erlitt Tipu Sultan im dritten (1789–1792) sowie vierten Mysore-Krieg (1799) empfindliche Niederlagen durch die Briten; schließlich starb er bei der 2. Belagerung seiner Hauptstadt Seringapatam, das Reich von Mysore wurde zerschlagen, die Gebiete unter den Siegern aufgeteilt, und im verbliebenen Kernland die alte Dynastie der Wodeyars wieder eingesetzt.
Historischer Hintergrund
Während bereits im Dienste der Niederländischen Ostindien-Kompanie sowie der Französischen und Britischen Kompanien ab dem 17. Jahrhundert in unterschiedlicher Anzahl auch Soldaten und Offiziere aus deutschen Staaten tätig waren, die z.T. mehrmals ihren Dienstherren wechselten und im Einzelfall auch als Heerführer bei indischen Fürsten zu Ruhm kamen (vgl. Mann 2006; Compton 2005), spielten ab 1782 in größerem Umfang Soldaten aus dem Kurfürstentum Hannover eine Rolle vor allem im 2. Mysore-Krieg. Da auf Seiten der EIC ein Mangel an Soldaten herrschte, bat diese den britischen König, der in Personalunion gleichzeitig Kurfürst von Hannover war, hannoversche Truppen zur Verfügung zu stellen. Der König stimmte der Schaffung zweier neuer Regimenter der hannoverschen Armee zu, deren Offiziere sich aus Freiwilligen bereits bestehender Regimenter rekrutieren sollten, wobei die Soldaten aus den angrenzenden Staaten kommen sollten. Ein entsprechender Vertrag mit der EIC wurde geschlossen. Die Regimenter, bestehend aus insgesamt 2000 Mann, brachen in mehreren Kontingenten mit verschiedenen Schiffen von Stade über Großbritannien, zum Teil mit Umweg über Brasilien nach Madras auf: der erste Transport verließ Portsmouth im Februar 1782 und erreichte Madras am 11. September, die letzte, kleinste Gruppe traf erst 1784 in Indien ein. Mindestens 200 Soldaten starben auf der Überfahrt, so dass 1800 hannoversche Soldaten ihren Dienst in der Anglo-Indischen Armee antreten konnten.
Etwa 850 von ihnen nahmen am 13. Juni 1783 an der Schlacht von Cuddalore teil, bei der die britische Armee versuchte, diese von den Franzosen und einer Hilfstruppe aus Mysore gehaltene Stadt einzunehmen, was ihnen jedoch nicht gelang und zu einer langen Belagerung führte. Der Krieg zwischen dem inzwischen von Tipu Sultan, dem Sohn des verstorbenen Hyder Ali, geführten Mysore und den Briten ging weiter, und 400 der hannoverschen Soldaten gehörten zu der Expedition des Colonels William Fullarton (1754–1808), der versuchte, den Krieg auf Mysores Territorium zu tragen. Ein anderer Teil der hannoverschen Regimenter wurde auf dem Seeweg ausgesandt, um die belagerte Garnison von Mangalore zu verstärken. Sie waren auch Teil der Armee, die Cannanore einnahm.
1784 wurde der 2. Mysore-Krieg mit der Unterzeichnung des Vertrages von Mangalore beendet, und man einigte sich, den Vorkriegsstatus wiederherzustellen. Im August 1785 waren alle hannoverschen Truppen in Arcot stationiert, und 1787 nach Madras verlegt, wo sie von da an bis zu ihrer Rückkehr nach Hannover hauptsächlich Garnisonsdienst versahen. Da die Regimenter dennoch hohe Verluste – meist eher durch Krankheit denn durch die Kriegshandlungen – zu beklagen hatten, wurden 1786 und 1787 noch einmal vier Kompanien mit jeweils 150 Soldaten nachrekrutiert, so dass insgesamt 2.800 hannoversche Soldaten für den Dienst in Indien verpflichtet worden waren.
Quellen
Was Quellen zu den Mysore-Kriegen insgesamt betrifft, so verlässt sich die Geschichtsschreibung zunächst auf einschlägiges Material der britisch-kolonialen Seite, etwa in den India Office Records oder aber dem Nationalarchiv Indiens bzw. den Archiven der Bundesstaaten Tamil Nadu oder Andhra Pradesh. Wenn es allerdings um eine dezidiert deutsche Perspektive bzw. deutsche Quellen geht, so stehen für die Zeit ab dem 2. Mysore-Krieg die Angehörigen der beiden kurhannoverschen Regimenter und deren Spuren in deutschen Archiven im Fokus.
Vor allem verschiedene Offiziere der beiden Regimenter begannen bereits vor ihrer Rückkehr nach Hannover, Texte über ihre Erfahrungen auf der Reise nach Indien und während ihrer Zeit in Indien zu schreiben. Eine bedeutende Zahl ihrer Briefe wurde im Hannoverischen Magazin und anderen bekannten deutschen Zeitschriften veröffentlicht, was für ein Interesse der Leserschaft am Schicksal der Unternehmung, aber auch an Nachrichten und Informationen bezüglich Indien spricht. Nach ihrer Rückkehr aus Indien veröffentlichten zwei Offiziere, Carl Conrad Best (1765–1836) und Ludwig von Scharnhorst (1747- ?), Reiseberichte. Einer der Militärgeistlichen, Friedrich Ludwig Langstedt (1750–1804), wurde als Verfasser und Übersetzer von Büchern im Bereich Reise, Welthandel und Naturgeschichte, mit einem Fokus auf Indien, bekannt. Ihre Texte geben einen Einblick in den Indiendiskurs im Deutschland der Spätaufklärung und vermitteln Einsichten in die Einschätzung des britischen Kolonialismus sowie die Betrachtung der indischen Gesellschaft mit einem Fokus auf Politik und Krieg aus Sicht von nicht-britischen Augenzeugen (vgl. hierzu v. a. Tzoref-Ashkenazi 2009, 2010 und 2014).
Aber nicht nur in veröffentlichten Texten, Büchern und Erinnerungen haben die Mysore-Kriege bzw. die Beteiligung kurhannoverscher Truppen ihren Niederschlag gefunden, sondern auch in Archivquellen, und dies zuerst und vor allem im Niedersächsischen Landesarchiv Hannover, was sich aus der z.Zt. der Aussendung der Regimenter bestehenden Personalunion des britischen Monarchen mit dem Kurfürsten von Hannover erklären lässt.
So findet sich in der Abteilung Militaria der staatlichen Aktenbestände aus der Zeit des Kurfürstentum / Königreich Hannover der Bestand Hann. 38 C Ostindische Regimenter – allgemeine Militärverwaltung, 1732–1791, der neben Akten bezüglich der Anwerbung der Soldaten, der Bezahlung der Offiziere, der Einrichtung der Regimenter, ihres Marsches nach Stade etc. vor allem auch Berichte der befehlenden Offiziere an ihre Vorgesetzten, aber auch darüber hinaus Berichte über die Reise nach Indien, den Aufenthalt dort so wie ihre Verwendung im Felde enthält. Offizielle Akten betreffs der kurhannoverschen Regimenter finden sich weiterhin im Bestand Hann. 41, Generalkommando/Militärakten der Londoner Kanzlei, was die Militärjustiz in Bezug auf diese Regimenter betrifft, ebenso die Hinterlassenschaften der Offiziere oder aber die Beschwerden gegen den Pastor Langstedt des 14. Regiments in Ostindien wegen „unzüchtigen Umgangs“ (vgl. Hummel 2014). Auch in Akten der Kriegskanzlei (Hann. 47) hat das Unternehmen der hannoverschen Regimenter in Ostindien seinen offiziellen Niederschlag gefunden. Was die Frage nach den einzelnen Offizieren und Soldaten betrifft, die Teil der beiden Regimenter waren, geben die Stammrollen der Hannoverschen Truppenteile Auskunft (Hann. 48a I).
Verschiedene andere Bestände – etwa Unterer Landesbehörden und Ämter – verzeichnen in geringem Umfang Archivalen, die mit den Nachlässen in Ostindien oder auf der Fahrt dorthin bzw. zurück nach Hannover verstorbener Regimentsangehöriger zu tun haben; Ähnliches findet sich auch in dem Bestand Cal. Br. 15 Privatakten des Fürstentums Calenberg (einer territorialen Einheit, aus der sich das Kurfürstentum entwickelt hat).
Aktenvorgänge mit den Nachlässen von Angehörigen der Regimenter, die Untertanen verschiedener hessischer Herrscher waren, finden sich im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden bzw. im Hessischen Staatsarchiv Marburg (s.u.). Da die Regimenter etwa zur Hälfte aus Nicht-Hannoveranern bestanden, ist es ist nicht auszuschließen, dass Ähnliches sich auch in anderen Staats‑, Landes- und Stadtarchiven findet.
Interessante Einblicke geben darüber hinaus die persönlichen Papiere der Gebrüder Breymann – Ferdinand Breymann (1764–1794) sowie Carl Breymann (17??-1786) (beide Offiziere bei den Regimentern) –, die aus Briefen Ferdinands an seine Braut sowie dem Tagebuch Carls bestehen (NLA HA Bestand Kleine Erwerbungen A 48 Nr. 1–3). Insbesondere das Tagebuch, das den Zeitraum von der Reise (1782) über Brasilien nach Madras bis zum Abschluss der Kampfhandlungen 1784 umfasst, ist als in sich geschlossenes Dokument von Interesse. Breymann berichtet von der Überfahrt und der dabei erlebten Seeschlacht mit den Franzosen vor Trincomalee; später über sämtliche Kampfhandlungen, an denen die Hannoveraner in Südindien bis 1784 beteiligt waren, wie etwa die Belagerung von Cuddalore im Juni 1783 oder die Belagerung und Einnahme von Palghat im November desselben Jahres. Dazwischen findet er auch Muße, über Land und Leute, die verschiedenen Kastengruppen und Religionen, die Pflanzen- und Tierwelt sowie das Klima zu berichten.
Was die 26 Briefe seines Bruders – datiert vom 22. März 1782 aus Cuxhaven bis zum 21. Oktober 1792 im Ärmelkanal – betrifft, so befasst sich der Schreiber (so ergeben es Stichproben) eher selten mit Berichten über das Geschehen in Indien oder landeskundlichen Ausführungen, dennoch ist auch seine Sichtweise als eines Offiziers, der die Garnison nie verlassen hat, um an Kampfhandlungen teilzunehmen, von Interesse.
Weitere Berichte und Egodokumente von verschiedenen Offizieren der kurhannoverschen Regimenter finden sich in entsprechenden Familien- bzw. Herrschaftsarchiven, so etwa im Bestand 37 Herrschaft Neuhardenberg, Kr. Lebus – Akten (1211–1945) im Brandenburgischen Landeshauptarchiv, Potsdam [bez. der Teilnahme August Georg Ulrichs von Hardenberg (1762–1806) an den englischen Feldzügen in Indien 1783–1784] oder im Thüringischen Staatsarchiv Gotha, Bestand 2–97-0958 Familie von Wangenheim (1243–2016), [Tagebuch des Christoph August von Wangenheim (1741–1830) über seine Reise nach Ostindien (Mysore-Krieg) 1782–1785; vgl. Wangenheim 2017]. Eine systematische Suche nach entsprechenden Familienarchiven anhand der Stammrollen der Regimenter bzw. Listen der Offiziere (vgl. Knesebeck 1845: 182–188) könnte auch hier noch weiteres Material zutage fördern.
Schließlich finden sich noch Quellen aus dem Umfeld der kurhannoverschen Regimenter in der Kartenabteilung des NLA HA: A map of the Carnatic, surveyed by Lieut. Schlegel, 14th Regiment of Hanover (Küstengebiet an der Coromandelküste in Südindien, v.a. südlich von Madras (bis Tranquebar), mit Darstellung der Feldzüge 1786/87) sowie weitere Karten mit Marschrouten der Armeen oder Umgebungskarten von Festungen mit Darstellungen entsprechender Schlachtaufstellungen.
Besonders interessant ist die erstgenannte Karte, da sie im Zusammenhang mit einer weiteren interessanten Quelle zu sehen ist, nämlich „Carl August Schlegels Lieutenant beym 14ten Regimente Versuch einer militärischen Geographie des Carnatiks in seinem gegenwärtigen Zustande. Von ihm in englischer Sprache verfaßt, und nun ins Deutsche übersetzt.“ Dieses Werk, das als Manuskript in der Handschriftenabteilung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen erhalten ist (2° Cod. Ms. hist 815), ist die Übersetzung eines englischen Originals, eines „Essay on Military Geography of the Carnatic by Lt. Schlegel, 1788“, die sich jetzt unter den Indian Papers of Major Sir Archibald Campbell, dem Gouverneur und Kommandanten von Madras von 1786–1789 – und damit dem Auftraggeber Schlegels – in den National Records of Scotland in Edinburgh (GB234/GD1/6/19) befindet.
Carl August Schlegel (1762–1789), der ältere Bruder von August Wilhelm und Friedrich Schlegel, war mit den kurhannoverschen Regimentern nach Madras gesegelt, wo er dann als Adjutant von Wangenheims beim Regimentsstab blieb und nicht an den Kampfhandlungen 1783/84 teilnahm. Seine Kenntnisse der Militär- und Kriegstaktik sowie des Festungsbaues führten dazu, dass er als Vermessungsingenieur unter General Sir John Dalling (ca. 1731–1798) eine Reise ins Innere des Carnatics unternahm und 1788 nochmals im Auftrag von Major Sir Archibald Campbell (1769–1843) in den Grenzgebirgen Vermessungen vornahm. Daraus resultierte eben die erwähnte Karte und das Werk zur Militärgeographie. Diese hatten – nach dem Ende des 2. Mysore-Krieges – den Zweck, darzulegen, ob und wie der Carnatic am besten gegen einen weiteren Einfall Tipu Sultans zu verteidigen sei. Dazu befasste Schlegel sich mit den geographischen Gegebenheiten, vor allem den Pässen und deren Befestigungen sowie den Transportwegen. In einem zweiten Teil widmet er sich vor allem den Festungen im Hinblick auf ihre Eignung als Magazine und / oder Hauptstützpunkte – wobei er zu dem Schluss kommt, dass fast alle Festungen nutzlos sind, der Aufwand zur Anlage und Verteidigung von drei Hauptfestungen ganz enorm sein würde, um dann so etwas wie einen Minimalplan für die Verteidigung zu entwerfen.
Rothermund (2015) betrachtet Schlegel als Autor dieses Werkes als einen Fernaufklärer, der aktiv an der Entzauberung Asiens beteiligt war, indem er sich bemühte, mithilfe wissenschaftlicher Methoden – hier der Geometrie als systemische Beurteilung von räumlichen Verhältnissen in einem zielgerichteten Sinn – gesichertes Wissen über die außereuropäische Welt – hier Südindien – zu erfassen und zu vermitteln.
Einen potentiell anderen, nicht-militärischen Blick auf die Mysore-Kriege und deren Umstände weisen Quellen aus einem zunächst vielleicht „unerwartetem“ Zusammenhang auf: es handelt sich dabei um Mitteilungen und Betrachtungen, die sich im Archiv der Dänisch-Halleschen Mission zu Tranquebar, heute Teil des Archiv und Bibliothek der Franckeschen Stiftungen im Studienzentrum August Hermann Francke in Halle, finden.
Die Missionare der Dänisch-Halleschen Mission befanden sich seit 1706 in Tranquebar, einer dänischen (später britischen) Niederlassung im Carnatik bzw. an der Coromandelküste, von wo aus sie weitere Missionsstationen gründeten (etwa in Madras, Cuddalore, Tiruchirappalli und Tanjore). Da sie vor Ort in ihrer Arbeit auf ein gutes Einverständnis mit den regionalen Herrschern sowie den Vertretern der einzelnen Handelskompanien angewiesen waren und über ihre Missionsarbeit hinaus ein reges Interesse für die sozialen Verhältnisse in Südindien, für Naturgeschichte und Sprachen zeigten, waren sie von Kriegshandlungen wie den Mysore-Kriegen oder denen zwischen den Engländern und Franzosen direkt betroffen und erwähnten diese sowie ihre Auswirkungen im politischen wie auch im unmittelbaren Sinne in Schreiben an die Leiter der Franckeschen Anstalten in Halle und ihre Unterstützer in Europa, die vollständig oder in Auszügen in den „Halleschen Berichten / Neuen Halleschen Berichten“ veröffentlicht wurden, z. T. aber auch unveröffentlicht sind.
So finden sich bereits in Briefen von 1767 Erwähnungen des Kampfes Hyder Alis gegen die Engländer, d.h., des ersten Mysore-Krieges, und dies setzt sich in den Briefen und Berichten der verschiedenen Missionare fort. Zentrale Bedeutung haben die Briefe, Berichte und Tagebücher des Missionars Christian Friedrich Schwartz (1726–98), der ab 1750 in Tranquebar tätig war, 1766 nach Trichinopoly ging, um schließlich 1784 nach Tanjore zu wechseln, wo er bis zu seinem Lebensende tätig war. Schwartz war durchaus als Missionar erfolgreich, er zeichnete sich vor allem aber dadurch aus, dass er Tamil, Marathi, Hindustani und Persisch beherrschte und gute Verbindungen zu den Mahratta-Herrschern von Tanjore, Raja Thuljaji und dessen Sohn Serfoji II. hatte, wobei er als Lehrer des letzteren fungierte. Er hatte ein reges Interesse an den politischen Entwicklungen, die er in seinen Briefen an Missionsbrüder und an die Missionsleitung kommentierte, wobei er auch die Engländer nicht von seiner Kritik ausnahm (vgl. Wright 1981). In seinem Tagebuch für das Jahr 1769 berichtet er schon über eine Predigt vor englischen Soldaten sowie die Verwüstung Trichinopolys (vgl. Bestand 2 E 1–47). 1779 unternahm er auf Wunsch der Engländer eine Reise als Friedensemissär zu Hyder Ali nach Seringapatam, wobei er von beiden Seiten für seine Unparteilichkeit und Unbestechlichkeit gelobt wurde. Diese Mission ist in einem bisher unveröffentlichten Reisebericht dokumentiert (vgl. aber Pearson 1846: 251–271). Auch nach dem 2. Mysore-Krieg wurde Schwartz von den Engländern mehrfach gebeten, an den Friedensverhandlungen teilzunehmen.
Kommentare zu den politischen Verhältnissen, zu den kriegerischen Handlungen und deren Auswirkungen sind im Missionsarchiv vor allem durch briefliche Berichte bis 1799 belegt (vgl. Bestand AFSt/M 1 B 1–75 Missionskorrespondenz, 1720–1785; sowie Bestand AFSt/M 1 C 1–65 Missionskorrespondenz, 1701–1824).
Bewertung der Quellen
Was die Bewertung der Quellen im Hinblick auf ihre Eigenheiten und das, was sie über entsprechende britische Quellen hinaus an Erkenntnis bringen können, betrifft, so ist für die Zeugnisse und Berichte der Missionare, hauptsächlich C. F. Schwartz, festzuhalten, dass sie vom Standpunkt einer christlichen Ethik auf das Geschehen eingehen und diesen Maßstab ihren Bewertungen zugrunde legen, wenn sie vor allem die Engländer ob ihrer „Unredlichkeit“ und ihres unchristlichen Verhaltens kritisieren. Schwartz, der selbst mehrmals von den Engländern um Vermittlung gebeten wird, steht auch Hyder und Tipu nicht unkritisch gegenüber, ist auf jeden Fall aber diesen gegenüber offen und wird auch von den Herrschern von Mysore ob seiner Uneigennützigkeit und unbestechlicher Rechtschaffenheit gelobt. Interessant ist dabei auch, inwiefern sich die unveröffentlichten Briefe bzw. Originale von den redigierten und zensierten Versionen unterscheiden, die z.T. in den „Halleschen Berichten / Neuen Halleschen Berichten“ veröffentlicht wurden, etwa was die explizite Kritik an dem Verhalten der Briten betrifft.
Wendet man sich den offiziellen Quellen über die Rekrutierung, die Verschiffung sowie die Verwendung der kurhannoverschen Truppen im 2. Mysore-Krieg zu, so wird man über den Verlauf der Kriegsereignisse vermutlich wenig neues erfahren; in den Berichten, Tagebüchern, Briefen und anderen Zeugnissen der Soldaten bzw. Offiziere der beiden Regimenter werden aber Perspektiven deutlich, die nicht notwendigerweise mit der ihrer britischen Waffenbrüder übereinstimmen, sondern einen spezifisch deutschen bzw. hannoverschen Blick auf die Gegebenheiten vor Ort, das Vorgehen der East India Company, aber auch gesellschaftliche sowie geographische und naturgeschichtliche Einzelheiten in Südostindien richten (vgl. Tzoref-Ashkenazi 2009; 2010; 2014). Besonders im Tagebuch Carl Breymanns wird durchaus auch ein kritischer Blick auf die Sinnhaftigkeit der militärischen Auseinandersetzungen deutlich, wenn er etwa nach der Belagerung Cuddalores innehält, um die grausamen Szenen zu beschreiben, die sich auf dem Schlachtfeld abspielen, oder in der Ironie dessen, dass diese auf beiden Seiten verlustreiche Auseinandersetzung letztlich zu keinem Ergebnis führte und stattfand, als in Europa bereits Frieden zwischen Großbritannien und Frankreich geschlossen war.
Und schließlich kann auch die militärwissenschaftliche bzw. militärgeographische und festungsbauliche Perspektive des Lt. Schlegel auf die Gegebenheiten im „Carnatik“ interessante Einblicke in das Wirken eines „Fernaufklärers“ (Rothermund 2015) vermitteln.
Ein weiterer Ansatz könnte es sein, die hier vorgestellten Quellen in der Zusammenschau mit den erwähnten britischen Quellen (sowie indischen und französischen!) auf ihre Aussagekraft zu einer Sozialgeschichte dieses „30-jährigen Krieges“ in Südindien zu prüfen. Die Schilderungen der im Land angerichteten Verheerungen, Landflüchte und Hungersnöte sowie der riesigen Armeetrains auf dem Marsche oder im Lager erinnern jedenfalls zuweilen stark an Schilderungen in Grimmelshausens Abentheuerlichen Simplicissimus oder ähnlichen Quellen.
Archive
Niedersächsisches Landesarchiv Hannover
Bestand Cal. Br. 15 Privatakten, 1490–1895
Bestand Hann. 38 C Ostindische Regimenter C, 1732–1791
Bestand Hann. 41 Generalkommando/Militärakten der Londoner Kanzlei, 1629–1864
Bestand Hann. 47 Kriegskanzlei, 1584–1859
Bestand Hann. 48a 1 Hannoversche Stammrollen , Infanterie, 1660–1868
Bestand Hann. 83 Konsistorium zu Hannover VI Feldkirchenbücher, 1350–1947
Bestand Kartensammlung; Karten – Altbestand, 1490–2001
Bestand Kleine Erwerbungen A 48 Nr. 1–3, 1782–1794
Archiv und Bibliothek der Franckeschen Stiftungen im Studienzentrum August Hermann Francke in Halle
Bestand AFSt/M 1 B 1–75 Missionskorrepondenz mit Tranquebar, Madras und Cuddalore, auch innereuropäische Korrespondenz, 1720–1785
Bestand AFSt/M 1 C 1–65 Missionskorrespondenz mit Tranquebar, Madras und Cuddalore, auch innereuropäische Korrespondenz, 1701–1824
Bestand AFSt/M 2 E 1–47 Dienstdiarien (Gemeinschaftsdiarien der Missionare in Tranquebar, Madras und Cuddalore, 1720–1788, desgl. auch persönliche Amts- und Reisediarien einzelner Missionare, 1712–1806
Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden
Bestand 140 Nassau-Usingen; Regierung, ca. 1680–1806
Hessisches Staatsarchiv Marburg
Bestand 81 Hanauer Regierung (vor 1821), 15. Jh. – 1820
Bestand 121 Waldeckische Regierung, 1706–1867
Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam
Bestand 37 Herrschaft Neuhardenberg, Kr. Lebus – Akten (1211–1945)
Thüringisches Staatsarchiv Gotha
Bestand 2–97-0958 Familie von Wangenheim (1243–2016)
Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Handschriftenabteilung
National Records of Scotland in Edinburgh
British Library, India Office Records and Private Papers
British Library, Maps Library
Gedruckte Quellen
Best, C. C., Briefe über Ost-Indien. Leipzig: Göschen, 1807.
Hallesche Berichte – Der Königl. dänischen Missionarien aus Ost-Indien eingesandte ausführliche Berichte von dem Werck ihres Amts unter den Heyden. Hrsg. von Gotthilf August Francke. Halle, S: Waysenhaus, 1713–1772.
Neue Hallesche Berichte – Neuere Geschichte der evangelischen Missionsanstalten zu Bekehrung der Heiden in Ost-Indien: aus den eigenhändigen Aufsätzen und Briefen der Missionarien. Hrsg. von Hermann Agathon Niemeyer. Halle: Waisenhaus, 1776–1848.
Hummel, Carz (Hg.), Hannoversche Truppen in Indien. Nachrichten vom Militärpastor Langstedt. [Aus der Akte Hann. 41 XIII Nr. 102 im Hauptstaatsarchiv Hannover]. Welfenschriften; 87. Wedemark, 2014.
Langstedt, Friedrich Ludwig. Reisen nach Südamerika, Asien und Afrika. Hildesheim: Tuchtfeld, 1789.
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Scharnhorst, L. von, Kurze Beschreibung einer Reise von Arcot in Ostindien nach dem Vorgebirge der guten Hoffnung und von da über Frankreich und Engelland nach Deutschland. Hamburg: Hoffmann, 1788.
——–, Briefe auf einer Reise von Stade nach Madras in Ostindien. Bremen: Förster, 1789.
Wangenheim, Christian August von, Im Dienste der British East India Company: Tagebuch der Reise nach Gibraltar, Sao Salvador/Brasilien und Madras 1782 bis 1785. Hrsg. von Steffen Arndt. Schriften des Thüringischen Staatsarchivs Gotha, 12. Gotha : Thüringisches Staatsarchiv Gotha, 2017.
Sekundärliteratur
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Koch, Gerhard (ed.), Imhoff Indienfahrer. Ein Reisebericht aus dem 18. Jahrhundert in Briefen und Bildern. Herausgegeben und mit einer Einführung von Gerhard Koch. Göttingen: Wallstein, 2001.
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Martin Christof-Füchsle, CeMIS, Georg-August-Universität Göttingen
MIDA Archival Reflexicon
Editors: Anandita Bajpai, Heike Liebau
Layout: Monja Hofmann, Nico Putz
Host: ZMO, Kirchweg 33, 14129 Berlin
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ISSN 2628–5029